Die Containerfrau
schnell »Verzeihung, Sundt«.
Es klingelt. Ihr Kollege packt sein Handy und meldet sich. Es klingelt noch immer.
»Jetzt mach schon«, sagt er ungeduldig und zeigt auf das NMT an ihrem Gürtel. Neues, ungewohntes Geräusch, denkt Anne-kin und sagt: »Ja, Halvorsen hier.« Es ist Sundt.
»Liegt er noch da? Der Trawler?« Ein rascher Blick und Anne-kin kann das bestätigen. »Ja, der liegt noch hier.«
»Der Reparateur war ein bisschen vage«, sagt Sundt. »Er sagt, der Schaden könne groß genug gewesen sein, um es nötig zu machen, die Waren in Trondheim abzuliefern, statt nach Ålesund zu fahren. Er hielt es jedenfalls für eine richtige Entscheidung des Kapitäns, auch wenn der Fisch noch einige Tage gefroren geblieben wäre. Aber zugleich fand er an der Sache etwas komisch.«
»Ach? Was denn?« Kommissarin Halvorsens Stimme klingt atemlos.
Auch ihre Kollegen spitzen jetzt die Ohren.
»Er sagt, er hätte noch nie erlebt, dass beiden Gefriermaschinen das Gas ausgegangen ist. Dass eine aussetzt, leer läuft, kommt auch nicht so häufig vor, aber beide …« Anne-kin hält den Atem an.
»Fast, als habe jemand daran herumgefummelt. Wieder seine Worte.«
»Und das bedeutet?« Anne-kin Halvorsen hofft, dass Sundt es wagen wird, den Trawler noch eine Weile festzuhalten, hofft, dass weitere Verhöre und eine neue Durchsuchung des Schiffes genehmigt worden sind. Unter Anwesenheit des Fachmannes, des Reparateurs.
»Seht mal! Scheiße, jetzt legt er ab!« Ihr Kollege zeigt auf eine dünne Rauchsäule, die plötzlich wie ein indianisches Signal hochsteigt. Rauchfetzen, die mitteilen: »Jetzt fahren wir.«
Der Trawler hat den Anker gelichtet.
»Der Vogel fliegt, Sundt«, sagte Kommissarin Halvorsen leise.
»Na gut, soll er fliegen«, erwidert ihr Chef. »Stürz dich ja nicht ins Wasser, um hinterherzuschwimmen, Halvorsen. Wir stoppen ihn auf andere Weise. Klar?« Anne-kin Halvorsen bringt keinen Ton heraus. Das Boot fahren lassen?
»IST DAS KLAR, HALVORSEN?«, wird gegen ihr Trommelfell gebrüllt.
»Ja.«
Mehr kann sie nicht sagen. Befehl ist Befehl.
Kommissarin Halvorsen ist so wütend und gereizt, dass sie die Autotür aufreißt, dann fällt ihr ein, dass es nicht ihr Auto ist, sie knallt sie wieder zu und verschwindet zornig. Sie ist nicht im Dienst. Sie ist verdammt noch mal nicht im Dienst. Sie schläft in einem Appartmenthotel gleich um die Ecke den dringend benötigten Schlaf. In bittere Gedanken versunken biegt sie ab und lässt ihre Füße zu ihrer Adresse gehen, zu dem Haus, in dem sie wohnt, in dem ihr Bett steht.
»Hallo«, hört sie den Kollegen hinter ihr herrufen. »Wohin gehst du?«
»Nach Hause«, ruft sie zurück. »Ihr seid im Dienst. Nicht ich.«
Sie scheißt auf Trawler, die den Trondheimsfjord verlassen und dabei Beweise vernichten. Wenn sie unterwegs angehalten werden, können sie sicher noch schnell ihr Peilgerät über Bord werfen. Das Peilgerät, das auf ihre Frequenz eingestellt ist. Auf ihr altes, abhörbares Handy. Kommissarin Anne-kin Halvorsen ist sich sicher, dass es so gelaufen ist. Genau so.
41
Das Wiedersehen mit ihrem Haus, mit ihrer Wohnung in Øvre Møllenberg führt nur zu Wirrwarr und Chaos – gedanklichem Chaos. Das Wiedersehen mit Treppe, Tür und Kugelloch ist hart. Genauso das mit ihrer Wohnung. Der Stuhl, auf dem der »Spatz« gesessen hat, das Licht vom Fenster her, der Schreibtisch, das Telefon, der Schrank, in dem sie eingesperrt war, alles ist plötzlich so fremd. Gehört für einen Moment nicht ihr. Rote und weiße Plastikbänder sperren das Haus ab, Kollegen und Streifenwagen, Schritte auf der Treppe und Stimmen, die hier sonst nicht zu hören sind. Und keinen verdammten Auftrag oder einen miesen Jobfetzen hat sie abbekommen. Sicher zu ihrem »eigenen Besten«, Kommissarin Halvorsen rennt im Zimmer hin und her. Ruhelos. Ruft Stein-Jørgen an. Erreicht nur seinen Anrufbeantworter. Ruft ihre Eltern an. Niemand zu Hause, nicht einmal Brüderchen Kristian. Plötzlich fällt ihr ein, dass Mutter, Vater und Nachkömmling auf Preiselbeerjagd gefahren sind, ins Ferienhaus von Elsa, der großen Schwester, im Haltdal.
Ihre Türklingel meldet sich zu Wort. Sie ist ziemlich heiser. Anne-kin Halvorsen hofft auf einen Kollegen mit Kaffeedurst, und sei es nur, um sich für einen Moment mit der Kaffeezubereitung beschäftigen zu können.
Es ist ihre Nachbarin, Frau Steen. Frau Rakel O. Steen.
»Darf ich hereinkommen?«, fragt sie und versucht den wunderbaren
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