Die Containerfrau
sie nur kann. »Bitte, strippen Sie. Ziehen Sie das Hemd aus.«
»Haben Sie dafür eine Genehmigung«, murmelt er, versucht es mit dem letzten Ausweg.
»Sicher«, antwortet sie und schiebt sie ihm zu. Er rührt das Papier nicht an, sieht nur ein paar runde Stempel. Widerwillig zieht er sich Pullover und Hemd über den Kopf. Zeigt etwas, das in Anne-kins Augen nach ausgiebiger Misshandlung aussieht. Sie schluckt.
»Sie waren damit nicht beim Arzt?«, fragt sie. Er schüttelt den Kopf. Murmelt, das sei doch nicht der Rede wert. Das werde schon wieder verheilen.
»Nicht beim Arzt? Mit gebrochenen Rippen?« Er schweigt.
»Ziehen Sie sich wieder an.« Er gehorcht. Wimmert ein wenig bei dieser Anstrengung. Plötzlich sieht sie, dass er Tränen in den Augen hat. Rasch kneift er die Augen zusammen. Reißt einen Witz. Kann aber weder den genauen Ort noch den Zeitpunkt nennen, an dem dieser »Grobian« von Türsteher ihn niedergeschlagen hat. Nur, weil er ein Bier zu viel intus hatte. Vielleicht hatte er ja die Klappe ein wenig zu weit aufgerissen. Kommissarin Halvorsen hört zu und schreibt seine gesamte Aussage als Unsinn ab. Als Bluff und Lüge. Sie soll etwas ganz anderes als einen erfundenen streitlustigen Kneipenbesuch und mordlüsterne Türsteher überdecken. Bei einem derart ernsten Zwischenfall hätten die Zivilfahnder der Wache von dieser Episode gewusst. Sie stehen schließlich treu ihre Wache und haben die meisten Lokale im Blick. Außerdem hätten andere in der Schlange die Polizei angerufen und von brutalen Tür-Gorillas erzählt, die hinter Gitter gehören. In dieser Hinsicht herrscht Loyalität unter den Schlangestehern. Aber nichts war passiert. Kommissarin Halvorsen würde Junior gern damit konfrontieren. Aber auf der Wache gilt die Philosophie: nie der vernommenen Person die Antwort in den Mund legen, sie mit rein gar nichts konfrontieren, einkreisende Fragen stellen und das Objekt alles erzählen lassen, was die Verhörsleiterin ohnehin schon weiß.
»Schönen Arbeitsplatz haben Sie da«, sagt sie. »Mit der ganzen elektronischen Ausrüstung müsst ihr doch einen Hering quer durch den Atlantik verfolgen können. Und euch abends Brathering servieren lassen.« Immerhin kann sie ihm jetzt ein Lächeln entlocken.
»Sicher«, sagt er. »Die Brücke ist wirklich gut ausgerüstet.«
»Echolot?«
Er sieht sie an, als sei sie aus der Steinzeit entsprungen.
»Und Radar, Sonar, Asdic und …«
Er bricht in ein kurzes Lachen aus. Greift sich dann an die Rippen und hustet.
»Sie haben wirklich Ihre Hausaufgaben gemacht«, sagt er.
»Ich hab einen Bekannten in derselben Branche, deshalb.« Sie lächelt ihn an.
»Ach so. Doch, ja, wir navigieren nicht mehr nach den Sternen.«
»GPS«, schlägt Kommissarin Halvorsen vor. »Ground Position System.«
Sie hat wirklich ihre Hausaufgaben gemacht. Er nickt. Verbreitet sich über Vorteile und Nachteile. Sie lässt ihn quasseln. Findet es gut, dass er sich warm redet.
»Der Kapitän ist Ihr Vater?« Diese Frage fällt wie ein Schuss. Sieht ein total verdutztes Gesicht und hört den wütenden Kommentar:
»Der ist verdammt noch mal nicht mein Vater, mein Vater hätte doch nie …«
»Hätte nie was?«
»Vergessen Sie’s«, sagt er leise. Und Kommissarin Anne-kin Halvorsen weiß Bescheid. Jetzt hat sie ihn.
Der Junge, der Stunden später tränenüberströmt und vor Schmerz zusammengekrümmt aus dem Büro getragen wird, wird gut versorgt. Ein Krankenwagen wird bestellt, er wird mit Stützverbänden umwickelt und bekommt schmerzstillende Mittel. Er ist auf den Boden gefallen und hat die Teile der Rippen gebrochen, die noch nicht gebrochen waren. Doch auch dann noch flehte er, nicht ins Krankenhaus zu müssen. Weinte und fluchte abwechselnd. Hatte mitten in diesen schrecklichen Schmerzen ganz offenbar eine Todesangst. Und dazu hat er auch allen Grund, denkt Kommissarin Halvorsen. Das schwächste Glied in der Kette. Der arme Teufel, ihm ist der Posten des schwächsten Gliedes in der Kette zugeteilt worden.
Sie und Vang wechseln einen Blick.
»Tja, und jetzt zu Sundt«, sagt ihr Kollege nach einer ganzen Weile. Anne-kin nickt, dreht das Schild mit »Laufendes Verhör« um, und zusammen wandern sie über den Gang zum Büro des Chefs.
Und Sundt begreift sehr schnell. Und handelt. Denn schon wenige Minuten später sitzen alle, die mit der Sache befasst und nicht draußen unterwegs sind, im Besprechungszimmer.
Geier, denkt Anne-kin. Restaurierer. Ich muss mir das
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