Die Containerfrau
so vorstellen, dass wir die von der Gesellschaft beauftragten Restaurierungsgeier sind. Und jetzt werden wir uns gleich hermachen über … Sie sieht die verängstigten Augen des Jungen vor sich, Joakim Hansen. Verdrängt diesen Gedanken. Schließlich machen sie nicht Jagd auf ihn. Er, dieses arme Würstchen, hat einfach nur einige Türen weiter geöffnet. Und sie wollen doch weiterkommen. Zu denen, die hinter dieser Teufelei stecken, zu den Drahtziehern, den Profiteuren, den Zuhältern, den Menschenschmugglern, den Frauenzerstörern, diesen verdammten Scheißdreckskerlen … Anne-kin Halvorsen schlägt mit der Faust gegen den Türrahmen, ehe sie zu den anderen ins Zimmer geht. Und dort nimmt sie brav und leise Platz.
Jetzt aufgepasst, denkt Vang mit einem Seitenblick auf Annekin, hier solltest du vorsichtig sein, Sundt. Sonst gibt es ein Erdbeben. Jetzt macht Halvorsen wieder ihr »Lasst-die-Schwachenverdammt-noch-mal-in-Ruhe-und-konzentrieren-wir-uns-aufdie-MACHT!« -Gesicht.
Anne-kin Halvorsen sieht, dass Kollege Vang unruhig auf der Stuhlkante sitzt, dass er an seinem Schnurrbart zupft und sich alles andere als wohl zu fühlen scheint. Na gut, sie hat ihn auch nicht sonderlich gut behandelt. Aber warte nur, Vangi, denkt sie mit einem letzten Seitenblick auf ihn, wir arbeiten doch wirklich gut zusammen. Es wird interessant, wieder den Kontakt zu Murmansk zu übernehmen, es wird verdammt interessant, über das, was da oben läuft, das Neueste zu hören. Ob der Kollege im Osten bei der Arbeit Ellenbogenfreiheit hat. Annekin zweifelt daran. Sie macht es sich auf dem Stuhl bequem und wartet gespannt auf die ersten Worte des Chefs.
Inzwischen wird die Wache von Zeugen und Irren und redseligen Leuten mit Kontaktproblemen überrannt, die allesamt diesen »fürchterlichen Fall« klären wollen, weil sie die Lösung haben. Wenn die Polizei ihnen nur für eine Minute ihr Ohr leiht, dann wird alles bald gelöst sein. Und draußen wiederum klopfen die Medien an die Tür. Verlangen Informationen, wollen den Termin der nächsten Pressekonferenz wissen, wollen wissen, wie weit die Polizei gekommen ist, ob sich etwas Neues ergeben hat, ob sie Namen oder Motiv oder Mordwaffe haben. Zumindest sollen sie die Namen der Toten nennen und verraten, wann sie nach Russland zurückgeschafft werden, ob sie bereits identifiziert sind, ob die Angehörigen Bescheid wissen, ob sie … es ist die totale Hektik.
Aber um dieses Chaos müssen sich glücklicherweise andere kümmern, denkt die Beamtin, die am Hinweistelefon sitzt. Sie und ihr Kollege am zweiten Apparat sollen äußerst entgegenkommend sein. Das fällt ihnen nicht leicht. Sie sitzen nur da und sehnen sich nach einem frischen, nicht verschwitzten Hemd und einer stundenlangen Dusche. Sie wundern sich keine Sekunde darüber, dass so viele ihrer norwegischen Landsleute Kriminalromane schreiben; diese ganze auswu chernde Fantasie muss doch irgendwo Auslauf finden. In diesem Moment zum Beispiel über eine glühende Telefonverbindung zur Wache von Trondheim. Höflich notieren sie alle Informationen und denken daran, dass die Wartelisten bei Psychiatern und Psychologen einfach viel zu lang sind. Denn der Mann, der behauptet, es führe ein Geheimgang von der Insel Munkholmen im Trondheimsfjord bis in den Nidarosdom, hat es im Alltag sicher nicht gerade leicht. Jedenfalls nicht, wenn er erzählt, dass Griffenfeldt und Armfeldt es beide gleichermaßen auf ihn abgesehen haben. Weil er ihre Geheimnisse kennt. Die Frau am Telefon erfährt nicht, wie diese Geheimnisse aussehen. Vielleicht hat der Mann das ja vergessen, die beiden Herren sind schließlich seit Jahrhunderten tot.
Die Frau, nein, die Dame, die anruft und mitteilt, ihr Mann, nein, ihr Gatte, habe zur fraglichen Zeit in Møllenberg einen Fassadenkletterer gesehen, kann mit größerer Aufmerksamkeit rechnen. Bis sie ihre Angaben überprüfen und feststellen, dass der Gatte bereits 1963 gestorben ist und sie eine falsche Adresse genannt hat. Sie wohnt schon seit Jahr und Tag nicht mehr in Møllenberg. Jetzt lebt sie bei ihrer Tochter, die am Telefon ist, als sie dort anrufen.
»Tut mir Leid«, sagt die Stimme einer erwachsenen Frau, »aber meine Mutter hört sehr viel Radio und ist zwischendurch relativ klar im Kopf. Aber das hier … tut mir wirklich Leid.«
Das wird Alter genannt, denkt die Beamtin. Sie kennt sich damit aus, sie hat einen Vater, der in der einen Minute voll da ist und in der nächsten mitteilt, man müsse
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