Die Containerfrau
Ohne betäubenden Kaffee- und Waffelduft. Von Angesicht zu Angesicht … Anne-kin Halvorsen, Kommissarin von der Trondheimer Wache, schnarcht in ihrem eigenen Bett.
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Und träumt. Träumt lange, zusammenhängende Träume. Eine Reise. Eine lange, lange Reise. Die beginnt mit zwei starken Armen. Und einer Revolvermündung im Nacken. Ein Boot verlässt den Hafen, ein schmutziges Hafenbecken, das immer breiter wird, liegt zwischen ihr und der Sicherheit. Sie wird festgehalten. Von Armen und Mündung. Während sie davongleiten. Nichts als Hindernisse, sie wird an allem gehindert. Wird gefangen gehalten. Als Geisel.
Vom Kapitän. Und dem Jüngsten. Etwas wird ihr in die Kehle gegossen, etwas in ihre Adern gespritzt. Etwas, das sie betäubt.
Es wogt. Nein, es schlingert. Sie liegt tot in einer Koje an Bord eines Schiffes, das die wilden Wogen in der Mitte durchschneidet. Und weiterschäumt. Durch den Fjord, den Trondheimsfjord, vorbei an Agdenes, dem Durchgang nach Trondheim. Das nach Norden abbiegt und die Küste hochfährt. Da liegt sie. Ihr Kopf ist klar, ihr Kopf ist dabei, er begreift. Aber die Kommandozentrale, die die Bewegungen leitet, die Körperbewegungen, ist ausgeschaltet. Egal, wie sie sich auch abmüht und aufstehen will, will, WILL! Sich bewegen, die Fahrt sabotieren, den Kahn wenden, Sundt Leute schicken lassen, will … Hilft nichts, sie kann kein einziges Glied rühren, sie kann nur schwitzen. Sie badet in Schweiß, schwimmt in feuchtkaltem Schweiß, in Feuchtigkeit, die sie aufs Bett drückt, die sie zwingt, liegen zu bleiben. Geräusche, überall gibt es Geräusche, von überall her. Aus ihr selber, aus der Ferne. Wie ein Puls, ein hämmernder pochender Puls. Unregelmäßige Herrschaft. Ihr eigenes Herz, abgehackt und unsauber. Die regelmäßigen arbeitenden Kolbenstöße des Schiffs. Sie liegt in einem verzerrten, schmerzenden, nervenzerreißenden Rhythmus da. In Dissonanz. Etwas nicht Umkehrbarem, das sie weiter und weiter fortträgt.
Dieselgeruch, leise Stimmen, Knurrstimmen. Dann zerfließt wieder alles. Einmal sieht sie die Lofotwand. Die schnappt nach ihr. Knurrt sie an. Eiszapfen und Reif. Es wird kälter und kälter. Die Nagelbetten tun ihr weh vor Kälte. Weit. Seeungeheuer tauchen aus der Tiefe auf, riesige hässliche Un-Geschöpfe, wie auf alten Seekarten, sie peitschen die See auf, sie wird hin- und hergeschleudert, das Gleichgewichtszentrum in den Ohren arbeitet wie besessen, um Ausgleich zu schaffen, sie darf nicht kotzen. Darf nicht. Dann ist sie fertig. Erstickt. Weit vorn, aus dem Eisnebel, taucht eine Gestalt auf. Es ist Irina. Eine verhuschte Frau auf einer blaugefrorenen Eisscholle, einer Eisscholle, die sie nicht trägt, die nur aus eiskaltem blaugrauem Meer besteht. Spiegelglattem Meer. Ihre Augen sagen: »Beeil dich, gleich knallt’s!« Und sie begreift, was knallen wird, sie ist an Bord des Bootes. Eines Bootes, das jeden Moment explodieren, das zu Streichhölzern zerbersten und auf den Meeresgrund sinken wird. Mit ihr an Bord. Irina sagt, sie solle kommen, sie solle über Bord springen und kommen. »Ich bin nicht Jesus, Irina, ich kann nicht auf dem Wasser gehen.« – »Wenn ich das kann, dann kannst du das auch.« Das ist Irinas Stimme, nein, nicht die Stimme, das sind ihre Augen. Sie muss den Augen folgen. Ihre Füße versinken wie im Moor, einem gurgelnden saugenden Moor. Ihre Schritte führen sie gewissermaßen nach nirgendwo. Sie glaubt, auf der Stelle zu treten, sieht Irina in die Richtung zeigen, in die sie gehen soll. Einen endlosen Raum, der keinen Horizont aufweist, einfach einen flachen weißen weiten Raum, der in der Ewigkeit ausläuft. Einen leblosen Raum, in dem es nur den Tod gibt. Und Schmeißfliegen. Sie kommen wie Heuschreckenschwärme auf sie zu, wütend, aggressiv, streifen sie, fliegen an ihr vorbei, machen wie auf Kommando kehrt, kommen wieder zurück. Und ihre Augen, großer Gott, ihre Augen, die sind facettiert, wie Radarschirme. Sie sehen alles, sie sehen das Pünktchen in der endlosen Weite, das sie ist. Sie fauchen aus blauglänzenden spitzen Rüsseln und gehen zum Angriff über, stürzen sich auf sie.
Ein brennender Schmerz in der einen Wange, dann wird ihr Körper hin- und hergeschleudert. Jemand schüttelt sie. Jemand ruft.
»Anne-kin, du musst aufwachen! Um Himmels willen, komm aus diesem Albtraum heraus!« Er schüttelt sie so heftig, dass ihre Zähne dabei klappern. Es ist Sundt. Und hinter ihm, in einem Nebelmeer, steht jemand, der ihre
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