Die Containerfrau
»für Volk und Vaterland kämpfen, wie König Haakon und Premierminister Nygaardsvoll heute Morgen im Radio gesagt haben«. Und dabei klopft er sich an einen Eckzahn. Zwinkert listig und sagt, da sitze der Empfänger. Sie seufzt und widmet sich dem nächsten Anruf. Sieht, dass der Kollege, dessen Uniformhemd ebenso schweißnass ist wie ihr eigenes, derweil Grimassen schneidet.
»Nazinest in der Krypta unter dem Dom«, stöhnt er ins Telefon. »Herr Berg-Andersen, Sie glauben also, dass die alten Königsgräber als Nazinest missbraucht werden? Und was hat das mit den Schüssen in Møllenberg zu tun? Dasselbe, sagen Sie? Dass sie überall sind? Sicher, sicher, danke für den Hinweis.« Er knallt den Hörer auf die Gabel, fährt sich über die Stirn und sieht reichlich gequält aus.
»Ich hole Kaffee«, sagt er, schiebt seinen Stuhl zurück und verschwindet.
»Hallo? Hallo?« Ein dünnes Stimmchen flüstert ein leises Hallo. Eine Mädchenstimme. Vielleicht hat die Kleine sich verwählt, denkt die Beamtin, sie hört sich eher an, als suche sie den Kinderombudsmann.
»Ja, hallo?«, fragt sie und sehnt sich nach dem versprochenen Kaffee.
»Muss ich sagen, wie ich heiße?«
Die Beamtin schüttelt den Kopf. »Nicht doch«, sagt sie. »Nicht, wenn du das nicht willst. Aber es wäre ja nicht schlecht, zu wissen, wer du bist, ich sag’s auch nicht weiter.«
»Ich find Pferde so toll«, sagt das Stimmchen. Die Beamtin bringt es nicht übers Herz aufzulegen. Ihre kleine Schwester findet Pferde auch so toll. Irgendwo unten in Ostnorwegen.
»Und deshalb ist das so komisch, ich war doch schon die ganze Zeit hier und weiß, wann sie zu Rennen fertig gemacht werden, denn dann darf ich doch helfen sie zu striegeln und alles vorzubereiten und deshalb …«
»Ja«, fragt die Beamtin aufmunternd.
»Ich weiß von allen Rennen und wann die Pferde hinmüssen und deshalb …«
»Ja?« Sie nickt zum Dank für die Tasse Kaffee, die vor sie hingestellt wird.
»Aber in letzter Zeit fahren sie einfach, so ganz ohne alles, fahren mit den Pferden nachts los. Ich kapier das alles nicht.«
Aber unheimlich ist es. Das ist es eben. Die Beamtin hört noch: »Ich heiße übrigens Barbro. Arbeite auf dem Gestüt Gryta. Bis dann.« Und dann hat die Kleine aufgelegt.
Das Herz auszuschütten, hilft ja ein bisschen, denkt die Beamtin, macht pflichtschuldigst ihre Notizen, trinkt einen Schluck Kaffee und ist bereit für den nächsten Anruf.
44
Wir sind von A nach B gekommen, denkt Kommissarin Halvorsen. Und vielleicht auch nach C. Aber bis zum Z ist es noch weit. Der Kapitän ist wirklich von der schweigsamen und stummen Sorte; er wirft nicht mit Worten um sich. Die beiden anderen auch nicht. Und dass der Jüngste, Joakim Hansen, die Schleusen aufgedreht hat und alles hervorströmen konnte, das erzählen sie den anderen nicht. Dass er das Abhorchen des Mobiltelefons und noch Schlimmeres zugegeben hat. Noch viel Schlimmeres. Weinend und schniefend. Zu diesem Zeitpunkt hatte Kommissarin Halvorsen Vang dazugerufen, das hier mussten sie sich zu zweit anhören. Der Jüngste registrierte kaum, dass noch jemand das Zimmer betrat. Er schlug nur mit den Fäusten auf die Stuhllehne und stöhnte, wenn er nicht gerade fluchte: »Dieser Arsch, dieser verdammte Arsch! Er hat gesagt, das hätte schon seine Ordnung, dass die Mädels in Norwegen eine Zukunft hätten, dass sie einen Job gefunden hätten, nur fehlte ihnen die verdammte Einreiseerlaubnis, aber da könnten wir ihnen helfen, wo wir ja doch nach Süden mussten. Und dass dann alles in Ordnung kommen sollte. Dass sie das selber so wollten, sie wollten sich in ihrer Kajüte verbarrikadieren und keinen Menschen sehen. Sie haben fast die ganze Zeit geschlafen. Fast immer, wenn ich ihnen das Essen gebracht habe, dann schliefen sie. Nur die eine nicht. Sie wollte mit mir reden, aber ich kann doch kein Russisch. Und sie hat nichts gegessen. Ich hab das alles nicht kapiert. Nur, dass sie sturzbesoffen waren, als wir im Hafen angelegt haben, und dass sie auf die Piste wollten, das hat jedenfalls …« Er ver stummt.
Die restliche Geschichte ergibt ein weitgehend klares Bild. Drei Stück Mann vom Fischkutter bringen drei Stück Frauen an Land. Die Frauen sind »sturzbesoffen«, wie der Junge sagt. Oder total zugedröhnt mit Drogen. Gegen ihren Willen zugedröhnt. Sie werden über die Reling hinuntergelassen und mehr oder wenige durch den Hafen getragen. Alle, die sie gesehen hätten, hätten gedacht: Ja, ja,
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