Die Corleones
Wagen wurde kurz langsamer, als der Fahrer einen raschen Blick auf den Gehsteig warf, dann überholte er die Pferdekutsche und fuhr weiter. »Wohin gehen wir? Für einen Spaziergang ist es ein wenig spät.«
»Ich hab ein Auto«, sagte Sonny.
»Du hast ein Auto?«
»Es gehört der Werkstatt. Ich darf es mir ausleihen.«
»Und wo zum Teufel hast du es geparkt?«
»Ein paar Straßen weiter.«
»Warum so weit weg, wenn du gewusst hast, dass ich …«
»
Che cazzo!
« Sonny breitete die Arme aus, eine Geste, die Erstaunen über Toms Unwissenheit ausdrückte. »Weil hier Luca Brasi das Sagen hat. Luca Brasi und die O’Rourkes und ein Haufen verrückter Iren.«
»Und was interessiert dich das?«, fragte Tom und blieb vor Sonny stehen. »Was spielt es für jemand, der in einer Autowerkstatt arbeitet, für eine Rolle, wer hier das Sagen hat?«
Sonny stieß Tom beiseite. Es war kein sanfter Stoß, aber er lächelte. »Diese Gegend ist gefährlich. Ich bin nicht so leichtsinnig wie du.« Kaum hatte er das ausgesprochen, lachte er, als hätte er sich selbst überrascht.
»Also gut«, sagte Tom und folgte ihm den Häuserblock entlang. »Ich war mit ein paar Jungs, die ich aus dem Wohnheim kenne, im Juke’s Joint. Wir wollten ein wenig tanzen, etwas trinken und wieder nach Hause gehen. Dann fordert mich diese Puppe zum Tanzen auf, und bevor ich mich verseh, bin ich bei ihr im Bett. Ich wusste nicht, dass sie Luca Brasis Freundin ist. Wirklich!«
»
Madon’!
« Sonny deutete auf einen schwarzen Packard, der unter einer Straßenlaterne stand. »Der gehört mir.«
»Du meinst der Werkstatt.«
»Richtig. Steig ein und halt die Klappe.«
Im Wagen warf Tom die Arme über die Rückenlehne der Sitzbank und sah zu, wie Sonny seinen Fedora abnahm, neben sich legte und einen Schlüssel aus der Westentasche holte. Der lange Schalthebel, der aus dem Wagenboden ragte, zitterte leicht, als der Motor ansprang. Sonny zog eine Schachtel Lucky Strikes aus der Jacketttasche, zündete sich eine an und legte die Zigarette dann in einen Aschenbecher aus poliertem Holz, der in das Armaturenbrett eingelassen war. Eine Rauchwolke trieb über die Windschutzscheibe. Tom öffnete das Handschuhfach und entdeckte eine Packung Kondome. »Die lassen dich am Samstagabend damit fahren?«
Sonny gab Gas, ohne zu antworten.
Obwohl Tom müde war, fühlte er sich hellwach, und er vermutete, dass es eine ganze Weile dauern würde, bis er würde schlafen können. Draußen rauschten die Straßen an ihnen vorbei, während Sonny in Richtung Innenstadt fuhr. »Bringst du mich ins Wohnheim?«
»Nein, zu mir«, sagte Sonny. »Du kannst heute Nacht bei mir bleiben.« Er sah zu Tom hinüber. »Hast du dir was überlegt? Was du jetzt machen willst?«
»Du meinst, falls dieser Luca dahinterkommt?«
»Yeah, genau das meine ich.«
Tom blickte auf die vorbeiziehenden Straßen. Sie passierten eine Reihe von Mietskasernen, deren Fenster über dem Schein der Straßenlaternen zumeist dunkel waren. »Woher soll er es denn erfahren?«, sagte er schließlich. »Sie wird es ihm wohl kaum erzählen.« Tom schüttelte den Kopf, als würde er die Möglichkeit abtun, dass Luca es herausfinden könnte. »Ich glaube, sie ist ein bisschen verrückt. Jedenfalls hat sie sich die ganze Nacht so benommen.«
»Aber du weißt, dass es bei dieser Sache nicht nur um dich geht, ja? Wenn Luca dir auf die Schliche kommt und dich umnietet, wird Pa dich rächen. Dann haben wir Krieg. Und das nur, weil du deinen Reißverschluss nicht zu behalten konntest.«
»Jetzt hör aber auf!«, rief Tom. »Deswegen willst ausgerechnet du mir Vorwürfe machen?«
Sonny schlug ihm die Mütze vom Kopf.
»Sie sagt ihm schon nichts«, fuhr Tom fort. »Das wird keine Auswirkungen haben.«
»Auswirkungen«, spottete Sonny. »Woher willst du das wissen? Woher willst du wissen, dass sie ihn nicht eifersüchtig machen möchte? Hast du daran schon mal gedacht?«
»Ziemlich verrückt, findest du nicht?«
»Ja, aber du hast ja gesagt, dass sie nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Außerdem ist sie eine Frau, und die spinnen sowieso. Vor allem die irischen. Die haben doch alle einen Knall.«
Tom zögerte einen Moment, und als er weiterredete, klang es, als sei die Sache endgültig geklärt. »Die erzählt ihm bestimmt nichts. Und wenn doch, muss ich eben mit Pa reden.«
»Wo ist der Unterschied, ob Luca dich umbringt oder Pa?«
»Was soll ich sonst machen?« Dann, als wäre ihm das gerade erst
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