Die Creeds: Wo die Hoffnung lebt
auf der vorgesehenen Stelle zusammenzuhalten, „du warst viel zu lange fort, um ein solches Risiko einzugehen!“
Feixend nahm Brody dem Kalb das Lasso vom Hals und schickte es zur Herde.
Das arme Tier musste nicht lange überredet werden, und das Gebrüll wurde für ein Weilchen noch lauter, als es anscheinend die unselige Geschichte erzählte.
Dieses Mal übernahm Conner die Führung, als sie die kleine Herde den Weg hinauf auf höher gelegenes Terrain trieben. Oben warteten Valentino und Barney, schwanzwedelnd und mit trockenem Fell.
In Brodys Augen war das ein Beweis dafür, dass die zwei von ihnen allen die Klügeren waren.
„Was lockt dich bloß so an Flüssen?“, knurrte Conner, als sie ihre Pferde gemächlich den unbefestigten Weg längs des Hügelkamms führten.
„Zuerst nörgelst du, weil ich nicht beim ersten Hahnenschrei zum Viehtreiben zur Stelle war. Und dann werde ich ein bisschen nass, weil ich ein Kalb aus dem Wasser ziehe, und du beschwerst dich wieder . Verdammt, ich wüsste zu gern, was dich zufriedenstellt, wenn das überhaupt möglich ist.“
„Du warst schon immer ein Selbstdarsteller“, warf Conner ihm vor, allerdings nicht allzu ernst.
„Ach, zum Teufel“, schimpfte Brody zurück, „du bist nur sauer, weil du selbst deine Lassokünste vorführen wolltest.“
Darauf antwortete Conner mit einem trägen Grinsen. „Im Lassowerfen, Schießen und Ringen übertreffe ich dich allemal“, sagte er, „und das weißt du.“
Brody lachte. Die Kleider klebten eiskalt an seiner Haut, und seine Stiefel waren voller Wasser – schon wieder. Wenn es so weiterging, brauchte er an jedem Zahltag ein neues Paar. „Rede dir das nur ein, kleiner Bruder, wenn es dir guttut.“
„Du hättest das Kalb vom Ufer aus einfangen können. Aber stattdessen riskierst du dein Leben – und das eines ausgezeichneten Pferdes –, nur um John Wayne zu spielen.“
„Ich war zu keiner Zeit in Gefahr“, entgegnete Brody, „und das Pferd auch nicht. Das Kalb saß in der Klemme, und ich habe es rausgeholt. Darüber solltest du eigentlich froh sein, statt zu meckern wie eine alte Dame, die Schlammspuren auf ihrem Teppich entdeckt hat.“
Conner biss die Zähne zusammen und blickte starr geradeaus,als ob es seine geballte Konzentration erforderte, sechs einjährige Kälber eine Landstraße entlangzutreiben. Als er wieder das Wort ergriff, überrumpelte er Brody, wie es so seine Art war.
„Ich schätze, Carolyn sucht einen Mann“, sagte er mit dem Hauch eines Schmunzelns im Tonfall. „Und sie ist nicht mal übermäßig wählerisch, solange sie nicht ausgerechnet dich bekommt.“
Die Worte trafen Brodys wunden Punkt, was zweifellos beabsichtigt war. Er sah Conner wütend an. Die beiden Hunde liefen jetzt zwischen ihnen. Beide hechelten, waren jedoch ansonsten unbeeindruckt vom Abenteuer des Morgens.
„Falls du Streit suchst, kleiner Bruder, den kannst du haben“, sagte Brody. „Was mich betrifft, können wir auf der Stelle absitzen und die Sache mitten auf der Straße beilegen.“
Conner lächelte, ohne Brody anzusehen, und ritt unbekümmert weiter. Der Großteil der Herde stand weiter vorn und rupfte das Frühlingsgras.
Die verirrten Kälber schienen das auch zu wissen, denn sie nahmen Tempo auf und benahmen sich nicht mehr so, als drohte ihnen der sichere Tod.
Erst als sie am Rand der Gebirgskette angelangt waren, von wo aus sie in alle Himmelsrichtungen blicken konnten, so weit das Auge reichte, wandte sich Conner wieder an Brody.
Trotz seines Ärgers war Brody gegen diesen Anblick nicht immun. Das Land, die Bäume, die Berge und der Himmel, der sich schlängelnde Fluss – all das war genauso Teil von ihm wie seine eigene Seele.
Conner hob seinen Hut und schwang ihn in weitem Bogen, um die berittenen Ranchhelfer jenseits der großen Viehherde zu begrüßen. Dann drehte er sich zu Brody um. „Reite lieber nach Hause und zieh die nassen Sachen aus, bevor du dir etwas einfängst.“
Brody saß nur da, nahm die Umgebung in sich auf und ließsich durch und durch von ihr sättigen. „Ich bin schon fast wieder trocken“, erwiderte er, „und außerdem überhaupt nicht empfindlich, damit du’s nur weißt.“
„Ich habe einen Nerv getroffen, wie?“, triumphierte Conner. „Es macht mir wirklich Spaß, den großen Brody Creed zu provozieren.“
„Geh einfach zum Teufel“, empfahl Brody ihm milde.
Wieder lachte Conner. Anscheinend kannte seine Belustigung an diesem Morgen keine Grenzen.
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