Die Creeds: Wo die Hoffnung lebt
zusammen mit ihrer Pflegekatze Winston. Die Waren, die die beiden Frauen verkauften, reichten von Ziegenmilchseife und handgefertigten Nadelkissen bis zu modischen Einzelstücken und beinahe museumstauglichen Ölgemälden.
„Ich bin auf alles gefasst“, versicherte Carolyn und nahm lächelnd ihren gewohnten Platz am Verkaufstresen neben der Registrierkasse ein.
Tricia ordnete eine ohnehin schon ordentliche Auslage mit handgefertigtem Briefpapier.
Der Laden würde nie Reichtümer einbringen. Doch für Carolyn war er die Erfüllung eines Traums. In Lonesome Bend hatte sie eine gemütliche Wohnung – was für einen Menschen, der in nicht weniger als vierzehn verschiedenen Pflegestellen aufgewachsen war, von großer Bedeutung war – und außerdem eine Absatzmöglichkeit für die unterschiedlichen Kleidungsstücke, Zierkissen und Schürzen im Retrostil, die sie unablässig an ihrer Nähmaschine fertigte. Früher hatte Carolyn ihr Geld mit dem „Hüten“ von Häusern anderer Leute verdient. Seit Jahren schon verkaufte sie ihre Sachen online. Die zusätzlichen Einnahmen aus ihren Internetgeschäften flossen auf ein Sparkonto und ermöglichten ihr den Einkauf von Nähgarn und Stoffen für ihr jeweils nächstes Projekt, mehr allerdings auch nicht.
Das Glöckchen über der Eingangstür klingelte fröhlich, und die Busladung Kunden strömte in den Laden. Weißhaarige Frauen mit gepflegten manikürten Händen und farbenfrohen Sommerkleidern schwatzten gut gelaunt und drängten sich um jeden Auslagentisch und vor jedem Regal.
Der Gewinn, den der Laden „Creed & Simmons“ – Tricias Urgroßmutter Natty hatte gesagt, der Name klinge eher nach einer Anwaltskanzlei oder einem britischen Juwelier –abwarf, reichte meistens kaum aus, um die Kosten zu decken. Doch die Busreisegruppen auf dem Weg von Denver nach Aspen und Telluride und zurück hielten mindestens zweimal pro Woche an und ließen die Kasse klingeln.
Für Tricia, die für ein hübsches Sümmchen den von ihrem Vater geerbten Grundbesitz verkauft und dann obendrein noch einen wohlhabenden Rancher geheiratet hatte, war der Laden ein Hobby. Allerdings eines, dem sie mit voller Leidenschaft nachging.
Aber für Carolyn war er sehr viel mehr. Er vermittelte ihr das Gefühl von Zugehörigkeit, ermöglichte ihr die Eingliederung in eine Gemeinschaft von Menschen, die sich größtenteils von Geburt an kannten.
Es musste klappen.
Ohne das Geschäft wäre Carolyn weiterhin heimatlos und würde für ein paar Tage oder Wochen im Haus von Fremden leben, um dann in ein anderes Haus weiterzuziehen, das ebenfalls nicht ihr gehörte. Häuser hüten war eine Erwachsenenversion des alten Spiels „Reise nach Jerusalem“, jedoch war der Einsatz bedeutend höher. Ein- oder zweimal war es Carolyn, als die symbolische Musik unverhofft aussetzte, ergangen wie dem Spieler, der keinen Stuhl ergattert hatte, und sie musste sich in einem billigen Motel einquartieren oder im Auto schlafen, bis sie einen neuen Auftrag an Land zog.
Glücklicherweise gab es etliche Möglichkeiten in der Umgebung von Lonesome Bend. Filmstars und Manager und hochkarätige Politiker besaßen hier millionenschwere „Feriendomizile“, versteckt in abgeschiedenen Canyons, auf Berggipfeln und am Ende langer, von wispernden Espen gesäumter Serpentinenstraßen.
Gelegentlich passte Carolyn für Stammkunden immer noch auf deren Heime auf. Allerdings war ihr die kuschelige Wohnung über dem Laden bedeutend lieber als diese gigantischen, gähnend leeren Anwesen mit ihren Innenpools undComputerräumen und gut bestückten Weinkellern.
In der Wohnung war sie umgeben von ihren eigenen Habseligkeiten – den Souvenirbechern aus Keramik, die sie überall im Land aus allen möglichen Städten zusammengetragen hatte, einigen wenigen körnigen Fotos in billigen Rahmen, ihrem Laptop und der reduzierten, aber unverwüstlichen elektrischen Nähmaschine – einem Abschiedsgeschenk von ihrer Lieblingspflegemutter.
Hier fühlte Carolyn sich real, an einem festen Ort verwurzelt, nicht wie ein ätherisches, geisterhaftes Wesen, das in einsamen Schlössern spukte.
Während der nächsten Dreiviertelstunde waren Carolyn und Tricia so beschäftigt, dass sie kaum Zeit hatten, ein Wort miteinander zu wechseln, und als der Reisebus endlich abfuhr, war es schon fast Zeit für die Mittagspause.
Die Kasse quoll über von Fünf-, Zehn- und Zwanzigdollarscheinen. Hinzu kam ein hübscher Stapel Kreditkartenquittungen.
Die Fächer,
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