Die Cromwell Chroniken: Kaltes Feuer
Nackenhaare richteten sich langsam auf. Flints Anblick war ihm unheimlich. Hätte der verrückte Kerl nicht gerade geblinzelt, er hätte ihn für tot gehalten.
Valerian beugte sich etwas herab und konnte den Atem des Mitstudenten auf seiner Wange spüren.
Der Knabe ist echt merkwürdig. Was hat er denn nun schon wieder?
Kopfschüttelnd wandte er sich ab und ging zum offenen Fenster. Tief ließ er die kühle Nachtluft in seine Lungen strömen. Das war die angenehmste Tageszeit bei dieser Hitze.
Er wandte sich wieder dem Raum zu. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es erst 4 Uhr morgens war.
Ein paar Stunden Schlaf genehmigst du dir noch.
Er schlurfte gähnend zum Bett, ließ sich auf die Matratze fallen und war auch schon kurz darauf eingeschlafen.
Flint war bereits verschwunden, als Valerian wieder aufwachte. Er duschte, rasierte sich und zog sich frische Kleider an. Bei der Hitze war es unvermeidlich, täglich seine Klamotten durchzuschwitzen.
Valerian warf einen Blick ins Bad und entdeckte einen Wäschekorb. Dort hinein schmiss er seine Kleider.
Hoffen wir mal, dass die wieder zurückkommen.
Seine Armbanduhr sagte ihm, dass es bereits 8.15 Uhr war. Es blieb etwas weniger als eine halbe Stunde, um zu frühstücken.
Mist, viel zu wenig Zeit.
Er schnappte seinen Rucksack und spurtete die zwei Treppen ins Erdgeschoss hinunter. Unterwegs hätte er beinahe ein paar Kommilitonen umgerannt.
Im Speisesaal angekommen, belud er sein Tablett mit allem, was die Küche zu bieten hatte, und hielt nach einem Platz Ausschau. Linda und Flint saßen an einem voll besetzen Tisch. Schade, er hätte sie gerne noch etwas besänftigt, bevor der erste Kurs heute startete. Offenbar störte sich auch keiner der anderen Studenten an ihrem schweigsamen Tischnachbarn.
Sind wohl nicht wählerisch.
Von Cendrick und Katharina fehlte jede Spur. Er suchte sich einen anderen Platz und schaufelte so schnell wie möglich das Essen in sich hinein. Später musste er sich eingestehen, dass darunter der Genuss zu leiden hatte, aber sein Hunger war stärker.
Noch während seines Frühstücksmassakers sah er Linda und Flint mit einer Gruppe Studenten den Raum verlassen. Er würde sich wirklich beeilen müssen. Ohne seinen „blinden Kompass“ war er in diesem Haus verloren.
Valerian hatte es noch nie fertiggebracht, eine Karte oder einen Plan zu lesen. Seine Talente lagen eher in anderen Bereichen. Zumindest fühlte es sich gut an, wenn er sich das sagte …
Er leerte seinen Teller, räumte das Tablett auf und stiefelte einem Studenten hinterher, den er von den gestrigen Kursen kannte. So gelangte er in den dritten Stock, den er zuvor noch nicht betreten hatte. Streng genommen hatte er bis gerade eben noch nicht einmal gewusst, dass es überhaupt einen dritten Stock gab.
Sie bogen rechts ab, betraten einen großen Seitenflügel und kamen an einer offen stehenden Tür an. Diese Tür unterschied sich von den anderen im Haus. Sie war nicht gänzlich aus solidem Holz, sondern hatte ein buntes Glasfenster, dessen Bild sich aus farbenfrohen Mosaiken zusammensetzte. Er konnte auf die Schnelle keine genauen Konturen ausmachen und es blieb keine Zeit mehr, um sich eingehender damit zu befassen, denn die Dozentin winkte bereits die verbliebenen Studenten hinein.
Innen lag ein schwerer dunkelroter Teppich am Boden. Er sah sehr weich aus. Alle wurden aufgefordert, ihre Schuhe auszuziehen, sich eine Sitzgelegenheit zu suchen und sich im Kreis niederzulassen. Jedes Kursmitglied konnte zwischen einem harten Meditationskissen, das mit Dinkel gefüllt war, einem niedrigen Gebetsbänkchen oder einem ganz gewöhnlichen Hocker wählen.
Valerian tat sich mit der Wahl schwer. Ein flauschiges Sofakissen wäre mehr nach seinem Geschmack gewesen. Keine der Sitzmöglichkeiten sah sonderlich bequem aus und lud zum Dösen ein. Er schnappte sich ein Meditationskissen und nahm beim Fenster Platz. Linda und Flint saßen ihm schräg gegenüber.
Zu seiner Überraschung stellte Valerian fest, dass Flint doch tatsächlich die Dozentin offen musterte – und noch dazu mit Interesse. Er grinste schief. Zumindest schien der Knabe in dieser Hinsicht „normal“ zu sein.
Dozentin Frey lächelte sanft in die Runde.
„Ich begrüße euch zu unserer ersten Meditationsstunde. Ich hoffe, dass ihr gestern noch genügend Gelegenheit hattet, euch das Haus und die Umgebung anzusehen, um schon ein bisschen heimisch zu werden.“
Sie strahlte ihre Studenten fröhlich an.
So nett
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