Die Cromwell Chroniken: Kaltes Feuer
einen dummen Jungen.
Oh Mann! Weiber! Die wissen auch nie, was sie wollen.
Eine Blinde, die meinte, mehr als er zu sehen? Na, von ihm aus! Dann sollte sie eben „sehen“, wie sie alleine zurechtkam. Er würde damit keine Probleme haben.
Sicherheitshalber warf er einen Blick um sich, ob er nicht Flint entdeckte. Das Haus war immerhin größer, als man von außen meinen konnte, und irgendwie musste er später sein Zimmer finden.
Draußen hatte sich bereits der Großteil des Kurses versammelt. Doch keine Spur von Flint. Linda seufzte leise. Sie wollte zwar unbedingt selbstständig sein, doch ab und zu geführt zu werden, war eine erholsame Abwechslung. Nun, sie würde sicher klarkommen. Man durfte sich einfach nicht zu abhängig machen von eingebildeten Machos!
Sie ärgerte sich schon seit dem Morgen wegen des heute „drohenden“ Selbstverteidigungskurses – und nun war ihr die gute Laune gänzlich vergangen. Wie kann man nur so rollig sein? Kaum tragen Frauen etwas weniger, schon bekommen die Kerle einen Adrenalinschock! Widerlich!
Sie schüttelte den Kopf und versuchte, sich auf Pater Ignatius zu konzentrieren. Das Gold seiner Aura sah man schon von Weitem. In diesem Anblick konnte man sich verlieren. Linda hätte es einem anderen Menschen nicht beschreiben können. Jede Farbe transportierte ein Gefühl, eine bestimme Qualität. Sie konnte sich diesen Schwingungen nur schwer entziehen. Deshalb mied sie Leute, die aggressiv oder depressiv waren. Sie zogen sie mit auf ihrer Abwärtsspirale und die junge Seherin war dieser Bewegung hilflos ausgesetzt. Ihre Mutter strahlte hin und wieder an manchen Stellen golden, wenn sie miteinander sprachen, und auch bei ihrem Bruder konnte sie ab und zu etwas erspähen. Doch das war selten und somit unheimlich kostbar. Pater Ignatius dagegen sah für sie aus, als wäre er in einen Liebestrunk gefallen. Er war wie … wie eine Quelle.
Der Gedanke hielt Linda gefangen. Eine Quelle bedingungsloser Liebe. Gab es so etwas überhaupt? War nicht viel wahrscheinlicher, dass ein Zauber auf ihm lag, der seine Aura verfälschte?
So etwas hatte sie noch nie gesehen. Ihre Mutter hatte ihr auch noch nie von einem solchen Strahlen berichtet. Sie würde ihr heute Abend im Chat eine Nachricht zukommen lassen.
Eine Bewegung riss sie aus ihren Gedanken. Flint bahnte sich einen Weg zu ihr. Unwillkürlich hoben sich ihre Mundwinkel.
„He, hat er schon angefangen?“, tuschelte ihr der Student leise ins Ohr.
„Nein, noch nicht. Du bist noch rechtzeitig“, flüsterte sie zurück.
„Ich hasse Sport. Am liebsten wäre ich gar nicht gekommen.“
Das Unwohlsein war deutlich in seiner Aura zu sehen. Linda konnte es ihm nachfühlen. Sie mochte Sport ebenfalls nicht, hatte jedoch – im Gegensatz zu Flint – immer eine gute Ausrede, um ihm fernbleiben zu können. Wer käme auch auf die Idee, einer Blinden einen Badminton-Schläger in die Hand zu drücken?
Sie warf einen Blick nach vorne. Hier war es ebenso. Was konnte der Priester ihr schon beibringen? Sie würde nie lernen können, einem Schlag auszuweichen oder einen Angreifer zu überwältigen. Für manche Dinge im Leben war das Sehen nun mal unverzichtbar. Schließlich würde sie auch niemand ein Auto fahren lassen.
„Ich begrüße euch alle zu unserer ersten Stunde in Selbstverteidigung!“, begann der Pater. „Nur, um Missverständnissen von Anfang an vorzubeugen: Ihr dürft diesen Kurs auf keinen Fall mit eurem einstigen Schulsport vergleichen.“
Linda zog ertappt den Kopf ein.
„Dieser Kurs kann und soll euch in der Zukunft das Leben retten!“
Die Ansprache hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Waren einige zu Beginn noch am Plaudern gewesen, so hatte der Dozent nun die Aufmerksamkeit aller.
„Ich bezweifle, dass ein Test darüber Aufschluss geben könnte, wie fleißig ihr trainiert habt. Davon abgesehen bin ich selbst kein Freund von Noten. Würdet ihr hier schlecht abschneiden, wäre die Motivation, weiterzutrainieren, durch die schlechten Zensuren noch geringer als zuvor. Jedoch profitieren gerade diejenigen, denen das Fach schwerfällt, am meisten von den Übungen. Aus diesem Grunde ist mein Kurs nicht ausschlaggebend für eine Versetzung in das Hauptstudium.“
Leise Seufzer der Erleichterung waren zu vernehmen.
„Jedoch stimmt unser Rektor Sir Fowler mit mir darin überein, dass dieser Kurs lebenswichtig für euch ist. Aus diesem Grund gilt eine Anwesenheitspflicht. Ich veranstalte hier weder Hochleistungssport noch
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