Die Cromwell Chroniken: Kaltes Feuer
„Schönheit“ zugelegt, denn die zwei Begleiterinnen der vergangenen Tage saßen in der letzten Reihe und waren in ein Gespräch vertieft.
Cendrick, du nerviger Angeber! Halt besser die Klappe!
Valerian rollte die Augen und massierte sich die Schläfen. Die Chancen standen gut, dass ihm bald übel wurde. Spätestens dann konnte er sich abseilen.
Seine Aufmerksamkeit wurde auf die sich öffnende Tür gelenkt. Mit katzenhafter Geschmeidigkeit schlenderte die Dozentin in den Raum. Sie warf die Haare gekonnt zurück und wandte sich mit einem atemberaubenden Lächeln an die Klasse. „Herzlich willkommen zu unserer ersten Stunde! Ich habe euch alle schon sehnsuchtsvoll erwartet.“
Valerian hatte das ungute Gefühl, dass sie ihn dabei für eine Sekunde länger ansah als die restlichen Studenten.
Der Ausdruck seiner Kommilitonen änderte sich schlagartig. Die Männer schienen einheitlich zu beschließen, dass Patchouli der tollste Duft überhaupt sei. Flint war dabei natürlich – wie immer – die Ausnahme. Er betrachtete sie zwar, wirkte jedoch eher nachdenklich und distanziert.
Währenddessen tauschten die weiblichen Lernenden ungläubige Blicke aus und runzelten die Stirn. Manche sahen aus, als wollten sie sagen: Was denn, die soll uns unterrichten? Ist ja wohl ein Scherz! Einigen konnte man den unverhohlenen Neid an der Nasenspitze ablesen.
Am liebsten hätte Linda laut geschrien.
Dieses Biest hat einen Liebeszauber auf sich!
Doch das wäre wohl nicht sehr höflich gewesen. Es war hinterlistig, doch Linda bezweifelte, dass sie ihn absichtlich gewirkt hatte. Vielmehr hatte es den Anschein, als sei er in ihren Körper hineingewoben worden. Mytsereu war ein einziges strahlendes Gitter der Magie und ihre Form war gewiss nicht die, die sie für die anderen zur Schau trug. Linda war vermutlich die Einzige, die ihre wahre Gestalt sehen konnte.
Gerissen, wirklich gerissen!
Linda brauchte sich nicht umzudrehen. Sie wusste genau, was sie entdecken würde. Vermutlich hatten nur wenige ihrer Kommilitonen bereits gelernt, einen Schutzschild zu wirken. Doch selbst wenn, wer käme schon auf die Idee, sich in einer Schule gegen die Dozentin zu schützen? Es war wirklich zu dreist! Wie konnte man diese Frau unterrichten lassen? Linda zog ernsthaft in Erwägung, sich beim Rektor zu beschweren, bezweifelte aber, dass es den gewünschten Effekt hätte. Sie war blind, doch nicht blind genug, als dass sie das ungeheure Potenzial dieser Frau nicht gesehen hätte. Diese Frau, dieses Wesen, war einschüchternd mächtig. Und alt.
Der Unterricht war gut. Mytsereu erklärte den Stoff anhand von Beispielen und vermochte selbst trockene Theorie anschaulich zu machen. Die meisten bekamen jedoch wegen ihres Endorphinrausches wenig davon mit. Valerian und Flint schienen die Einzigen zu sein, die sich noch im Griff hatten. Vielleicht aber auch nur Flint. Erstaunlich … Sie konnte erkennen, dass Flint Mytsereu frontal betrachtete und sich dabei keine seiner üblichen Ängstlichkeiten zeigten. Selbst Linda konnte er nicht so offen ansehen, das wusste sie. Sie wusste nur nicht, weshalb.
Die Doppelstunde raste vorbei wie im Fluge und Linda musste widerwillig zugeben, dass die Dozentin in der Tat eine gute Lehrkraft war. Schade. Das machte es schwer, etwas an ihr auszusetzen.
Es war Donnerstagabend und Linda zog gerade den Reißverschluss ihrer Reisetasche zu. Ihr Bruder würde sie noch vor dem Abendessen abholen. Sie musste lächeln bei dem Gedanken. Vor ihrer Abreise hatte Linda ihrer Mutter versprochen, das erste Wochenende auf jeden Fall nach Hause zu kommen. Und da die Freitage frei waren, konnte sie bereits heute gehen.
Sie wusste jetzt schon, dass ihre Mutter sie komplett „durchleuchten“ würde. Sie wollte überprüfen, ob sie genug gegessen hatte, ob sie zurechtkam und ob sie auch wirklich glücklich war. Mütter eben! Sie würden sich viel Zeit nehmen, um zu reden, und schließlich würde ihre Mutter sie am Sonntagnachmittag erneut ziehen lassen müssen. Linda genoss es, zum ersten Mal ihr eigenes Leben zu führen. Und sie hoffte, dass sich auch ihre Familie möglichst schnell daran gewöhnte. Auf der anderen Seite tat es ungeheuer gut, vermisst zu werden.
Doch weder von Flint noch von Valerian hatte sie je etwas über deren Familien gehört. Das fand sie merkwürdig. Ihre Familie stellte einen großen und wichtigen Teil in ihrem Leben dar, auch wenn sie nicht mehr komplett war. Lindas Vater galt seit ihrem fünften
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