Die Cromwell Chroniken - Schicksals Pfade (German Edition)
Campingausrüstung zusammengepackt und ihren Rucksack damit beladen. Sie war also startklar, doch sie gab sich redlich Mühe, noch etwas Zeit zu vertrödeln.
Wo bleibt er nur?
Joe und sie hatten am Vorabend zwar nichts abgemacht, doch die Hexe war davon ausgegangen, dass er noch einmal vorbeikäme, um sie zu verabschieden.
Dachte er vielleicht, dass ich erst am Abend gehe?
Sie konnte sich jedoch erinnern, dass sie erwähnt hatte, gleich am Morgen abzureisen.
Vielleicht hat er ja verschlafen und denkt jetzt, dass ich schon längst fort bin …
Doch auch das wollte keinen rechten Sinn ergeben. Insbesondere dann nicht, wenn sie daran dachte, dass Joe immer vor ihr wach und auf den Beinen gewesen war. Jetzt war es wohl an der Zeit, der Realität ins Auge zu blicken.
Er kommt nicht. Sie atmete tief durch und versuchte, ihrer aufkommenden Enttäuschung Herr zu werden.
Damit hätte ich rechnen müssen. Es ist ja nicht so, als hätten wir eine Beziehung gehabt oder so. Er hat nur gesagt, ich wäre sein Schicksal. Doch was hat das schon zu bedeuten? Das sind nur Worte – und die sind schnell wieder vergessen. Ich sollte mich besser damit abfinden.
Mit einem Ruck zog sie ihr schweres Gepäck auf den Rücken und marschierte mit energischen Schritten los. Sie warf keinen Blick zurück. Als sie das Ende der kleinen Lichtung erreicht hatte, hörte sie von Ferne ein Geräusch, das ihr durch Mark und Bein ging: das einsame Heulen eines Wolfes.
Graciano hatte gerade das „Amen“ seines morgendlichen Gebets gesprochen, als es an seiner Zimmertür klopfte. Er war nicht überrascht, Pater Ignatius draußen zu sehen. Die Züge des Studenten hellten sich unwillkürlich auf und die beiden umarmten sich spontan zur Begrüßung.
„Ich dachte, es wäre ein günstiger Moment, um dir zu sagen, dass deine Prüfung beendet und bestanden ist.“
Graciano nickte nur stumm, er war so überwältigt, dass er kein Wort herausbrachte.
Der Geistliche klopfte ihm aufmunternd auf den Rücken und die zwei lösten sich voneinander.
„Bist du bereit, aufzubrechen?“, wollte der Prüfer von seinem Schützling wissen.
Gracianos Augen schimmerten, als er nickte.
„Ja. Ich möchte mich nur noch von jemandem verabschieden, bevor wir gehen.“
„Pfarrer Weyer? Bei dem müssen wir ohnehin vorbei. Ich wollte mich noch bei ihm bedanken.“
Der Student grinste schief. An den Seelsorger hatte er gar nicht gedacht.
„Dem auch. Aber da gibt es noch jemand anderen, dem ich Adieu sagen möchte.“
„Suchen Sie jemanden?“, erkundigte sich ein junger Arzt bei Graciano.
„Ja, ich suche Kai, einen Pfleger, der auf dieser Station arbeitet. Rote Haare, Sommersprossen …“
„Kai? Hm … Der Name sagt mir nichts, aber ich bin auch erst neu hier. Wissen Sie zufällig den Familiennamen?“
„Nein, leider nicht.“
„Einen Moment, ich frage bei der Stationsleitung nach.“
Graciano und der Pater folgten dem Doktor zu einem Büro. „Die zwei Herren suchen einen Pfleger namens Kai. Gibt es den bei uns?“
Eine kleine Frau, Mitte vierzig, leicht übergewichtig und mit herausgewachsener Dauerwelle, die an einem gläsernen Schreibtisch saß und angestrengt in einen Computermonitor starrte, blickte auf und runzelte die Stirn.
„Kai? Nein … Wir haben nur einen Pfleger hier – und der heißt Jörg“, gab sie kurz angebunden zurück.
„Rote Haare?“, fragte der Student hoffnungsvoll.
„Braun. Ich sagte es Ihnen doch schon, bei uns auf Station gibt es keinen rothaarigen Pfleger – und ich muss es schließlich wissen, ich bin fast immer hier.“
„Vielleicht ist er auf einer anderen Station und war nur zur Aushilfe hier? Bitte, es ist sehr wichtig, ich muss ihn noch mal sprechen, bevor ich gehe!“
Graciano klang verzweifelt und warf Pater Ignatius einen hilfesuchenden Blick zu. Dieser lächelte aber nur stumm und nickte aufmunternd.
„Wenn das so ist … Warten Sie“, seufzte die Stationsleiterin, nahm den Telefonhörer ab und wählte eine kurze Nummer.
Als sie ihr Gespräch beendet hatte, blickte sie wieder zu dem jungen Wächter auf.
„Ich habe mit dem Personalbüro gesprochen. Dort kennt man die Namen aller Angestellten und weiß auch, auf welcher Station sie arbeiten. Die haben gerade im System nachgesehen – und es gibt keinen einzigen Pfleger, der Kai heißt. Auch im letzten Jahr hatten wir keinen Kai. Tut mir sehr leid.“
„Danke.“
Das gibt es doch nicht!
Graciano wandte sich zum Gehen und Pater Ignatius folgte
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