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Die da kommen

Die da kommen

Titel: Die da kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Jensen
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rasch die Hand und spreizt die Finger, dass es wie ein Stern aussieht. Danach schließt es sie ebenso schnell wieder. Das Ganze dauert nicht länger als zwei Sekunden. Lange genug, um eine Verbindung herzustellen, die mir die Kehle zuschnürt und einen intensiven Gedankensturm auslöst.
    Als ich zu Freddy schaue, erwidert er den Gruß, hält die geschlossene Faust auf Augenhöhe und öffnet sie.
    Binnen Sekunden ist die Gruppe an uns vorbeigegangen. Ich drehe mich um und schaue ihr nach. Das Mädchen sieht nicht zurück, und Freddy starrt wieder auf den Fluss.
    »Freddy K. Das Zeichen, das dir das Mädchen eben gegeben hat. Du hast es erwidert. Was bedeutet es? Was habt ihr zueinander gesagt?«
    »Wovon redest du?«
    Ich denke an das »allsehende« Auge auf Sunny Chens Zeichnungen: ein Auge, von dem Strahlen ausgehen. »Sie hat dir ein Zeichen gegeben, und du hast es erwidert. So.« Ich zeige es ihm. Wieder und wieder. Ich bin nicht nur aufgeregt, sondern aufgewühlt. Ich brauche eine Antwort. Sofort. »Was bedeutet das, Freddy K? Was bedeutet dieses Zeichen?« Vielleicht schreie ich.
    Er schreit zurück. »Du bist echt ein Freak, Hesketh. Ich weiß nicht, wovon du redest.«
    »Sie hat dir ein Zeichen gegeben, und du hast es erwidert, ich habe es doch gesehen! Genau so!« Wieder imitiere ich die Geste. Das Zeichen des Auges.
    »Nein!«, schreit er. »Ich habe nichts gemacht! Sie hatnichts gemacht! Ich kenn sie doch gar nicht!« Sein Gesicht ist heiß und rot vor Wut.
    Ich dulde keine Lügen. Aber ich kann nicht beweisen, dass er nicht die Wahrheit sagt.
    »Gut, dann komm.« Ich gehe rasch weiter und falte im Geiste in einem wütenden Rhythmus Papier: ein einzelnes Blatt, das mit weit mehr als den neun physikalisch möglichen Faltungen kleiner und kleiner wird, bis es einen dichten Würfel ergibt. Als ich nach links in die B 305 biege, wimmert Freddy. Ich will nicht, dass er weint.
    »Alles klar, Freddy K?«
    Ich bücke mich und umarme ihn. Das Fahrrad wackelt, als er sich an mich klammert, und ich schließe die Augen. »Es ist gut, Freddy K. Tut mir leid, dass ich geschrien habe.«
    Den Rest des Weges schiebe ich ihn auf dem Fahrrad.
    Von einem kleinen Schild am äußeren Tor abgesehen, wirkt die Pflegeeinrichtung in Battersea unauffällig. Wir stellen das Fahrrad unter einer Feuertreppe ab. Bei dem Gebäude, das abseits der Straße in einem Gewerbegebiet liegt, handelt es sich um ein umgebautes dreistöckiges Lagerhaus. Der Empfangsbereich ist nicht besetzt, aber es gibt einen Computer und eindeutige Anweisungen, die die elektronische Registrierung betreffen. Die Namen Hesketh Lock und Frederick Kalifakidis stehen bereits auf einer Liste mit der Überschrift »Heutige Aufnahmen«. Ich hake unsere Namen ab, um unsere Ankunft zu bestätigen, und scanne wie vorgeschrieben unsere Ausweispapiere ein. In einer Ecke an der Decke ist eine Überwachungskamera angebracht. Auf dem Bildschirm erscheint das Wort »Bestätigt« zusammen mit der Codenummer 5672. Mithilfe der Nummer lässt sich die rote Tür öffnen, und ich gehe mit dem Kind in die Aufnahme im dritten Stock. Wir nehmen die Treppe. Die Wände sind aus nacktem Ziegelsteinoder in einem milchigen Gelb gestrichen, das die Firma Dulux als Sonnentanz bezeichnet. Im dritten Stock gelangen wir in einen großen, luftigen Raum mit Blick auf einen Innenhof, in dem ein geräumiger Sandkasten voller Kinder zu sehen ist.
    Das Gewusel cochenilleroter Körper erinnert mich an einen Schwarm roter Blutzellen.
    Freddy ist sofort elektrisiert.
    »Hey, cool!« Er zeigt grinsend nach unten und erinnert mich wieder an den dunkelhaarigen Kobold von Seite 392.
    Dort unten herrscht großer Lärm. Die roten Uniformen bestehen aus lockeren, elastischen Hosen und Jacken mit Reißverschluss. Auf dem Rücken der Jacken sind die Namen der Kinder in großen, schwarzen Buchstaben angegeben. Viele sind deutlich jünger als Freddy. Es gibt das übliche Londoner Gemisch an Hautfarben, die von Ecru bis zu gebranntem Ebenholz reichen. Viele – vor allem die blonden Kinder – tragen Sonnenbrillen. Es gibt eine Rutsche und mehrere Schaukeln, aber die Kinder benutzen sie nicht. Im Sandkasten graben sie eifrig, harken mit bloßen Händen oder sitzen einfach da und lassen Sand durch die Finger rieseln. Andere drängen sich in Gruppen um die fünf Ebereschen.
    »Und hey, sieh mal da!« Freddy hat sich umgedreht und zeigt auf einen Raum zu unserer Linken, durch dessen Glastür wir weitere rot gekleidete

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