Die da oben - Innenansichten aus deutschen Chefetagen
diskutiert, ob ich hinfahren soll: Ich war der Ansicht, dass ich mich dem aussetzen sollte. Meine Berater waren dagegen.
Warum?
Das Kernargument war: Ich führe mit leeren Händen hin, da ich die Entscheidung ja nicht revidieren könne. Ich würde nur Hoffnungen erzeugen, die ich nicht einlösen könnte, und damit letztlich die Firma beschädigen. Die Situation in unserem US -Standort in Wilmington war sehr aufgeheizt. Die Lokalpolitiker sind Sturm gelaufen.
Auf amerikanischen Internetseiten wurden Sie damals mit einem Hitlerbärtchen dargestellt. Verletzt einen das?
Ich habe mir das nicht angekuckt.
In Deutschland wurden Sie für die Entscheidung gelobt, die US -Tochter zu schließen.
Ja, da merkte ich, dass ich als Vorstandsvorsitzender eines so globalen Unternehmens, wie die Deutsche Post eines ist, zum Teil in einer anderen Welt lebe. Die Medien sind national, die Politiker sind national und die Gewerkschaften auch. Kurz nach der Schließung unseres US -Geschäfts haben wir eine Pressekonferenz abgehalten. Die Reporterin eines Fernsehsenders kam anschließend zu mir und sagte: »Herr Appel, wir wissen, Sie haben nur wenig Zeit, wir haben auch nur eine einzige Frage: Was bedeutet das für Deutschland?« Das beschreibt sehr anschaulich, dass im Grunde jeder in unserer sogenannten globalen Welt doch nur mit sich selbst beschäftigt ist.
Wundert Sie das?
Nicht wirklich. Aber für mich ist ein Mitarbeiter in Hamburg genauso wertvoll wie ein Mitarbeiter in Wilmington oder in China.
Trotzdem haben Sie bestimmt manchmal gedacht: »Gut, dass es in den USA passiert und nicht hier.«
Absolut! Ich muss mich hier zu diesem Thema nicht im gleichen Maße der Öffentlichkeit und der Politik erklären – für mich eine Baustelle weniger. Aber es ist dennoch seltsam, oder?
Die Post hat Mitarbeiter rund um den Globus. Dieser Konzern muss auch für Sie erstmal ein vollkommen abstraktes Gebilde gewesen sein. Wie macht man so ein Unternehmen für sich greifbar?
Bevor ich auf Dienstreise gehe, lasse ich mir vorher immer das Bruttosozialprodukt des Landes geben, in das ich reise. Vor Kurzem traf ich zum Beispiel einen EU -Kommissar aus einem kleinen Land. Dieses Land hat 1 , 5 Millionen Einwohner und ein Bruttosozialprodukt von neun Milliarden. Das ist ein Sechstel des Umsatzes der Deutschen Post.
Veränderte der Vergleich Ihre Perspektive auf so ein kleines Land?
Mir machte es eher die Dimension meiner eigenen Aufgabe klar.
Die Hilfskonstruktion, mir der Sie sich Ihren Konzern aneignen, wirkt sehr abstrakt.
Seit Anfang des Jahres tauche ich in unregelmäßigen Abständen irgendwo hier im Post-Tower, unserer Konzernzentrale, auf und frage die Mitarbeiter, an was sie gerade arbeiten. So entstehen lohnende Gespräche, und ich bekomme ein Gefühl für das Unternehmen. Selbst meine Sekretärin weiß dann nicht genau, wo ich bin. Ich gehe einfach zum Fahrstuhl, drücke irgendein Stockwerk und kucke, wer da sitzt.
Ist das in Ihrem Terminkalender vermerkt?
Da ist eine Stunde geblockt. Da steht »Vorstandsvorsitzender« – VV ist das Kürzel hier – »besucht anderes Stockwerk«. Im ersten Halbjahr habe ich es ungefähr zehnmal geschafft.
Was ist denn – auch nach diesen Gesprächen – Ihrer Meinung nach das Wichtigste im Umgang mit den Mitarbeitern?
Ich denke, man muss einer Organisation immer ein Maximum an Klarheit geben. Wenn Sie eine Entscheidung treffen, so hart sie auch ist, müssen Sie mit den Betroffenen darüber reden. Sie können Ihren Mitarbeitern nicht sagen: Alles wird gut – und dann wird gar nichts gut. Das hat mich die Krankheit meiner Mutter gelehrt: Sie hatte Brustkrebs. Nach 20 Jahren ist sie auch daran gestorben. Damals erlebte ich, wie quälend Ungewissheit ist. Meine Mutter wurde regelmäßig untersucht. Jedes Mal wenn die Ärzte sagten, da sei vielleicht etwas, es sei aber unklar, was es sei – das war ein Horror für die Familie. Wenn klar war, da ist nichts, waren wir erleichtert. Aber es war auch okay, wenn die Ärzte etwas fanden. Dann wussten wir, jetzt können die wenigstens etwas dagegen tun.
Während Ihres Studiums haben Sie sich viel mit dem Wesen des Menschen beschäftigt, Sie sagten, Sie wollten der Schizophrenie der menschlichen Psyche auf den Grund gehen. Haben Sie inzwischen eine Erklärung gefunden?
Nein. Sonst säße ich heute vermutlich auch nicht hier. Aber ich bin immer noch froh über die Erfahrung, in so unterschiedlichen Welten gearbeitet zu haben. Die Gehirnwissenschaft
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