Die da oben - Innenansichten aus deutschen Chefetagen
eingegriffen, sondern alle haben gesagt: toller Boom, alles geht nach vorne.
Wie erklären Sie sich das mit Ihrem psychologischen Wissen?
Damit, dass eben alle gerne gute Nachrichten hören. Man merkte ja wirklich, dass die Arbeitslosigkeit runterging. Und die Wirtschaftsinstitute trafen positive Vorhersagen. Diese Vorhersagen sind allerdings nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben stehen. Ich halte das für Hokuspokus, ehrlich gesagt. Vielleicht führt auch das hohe Tempo, das heute so wenig Zeit zum Nachdenken lässt, dazu, dass die öffentliche Meinung nur Extreme kennt. Entweder: toller Boom. Oder: schlimmer Auswuchs, böse Manager.
Haben Sie selbst das Gefühl, nicht mehr zum Nachdenken zu kommen?
Nein, bei uns ist Nachdenken Teil des Geschäftsmodells. Wer hingegen ein Serienprodukt verkauft, muss sehen, wie er es los wird. Da muss man hier agieren, dort agieren. Die Leute – man kann es ihnen wahrscheinlich gar nicht verübeln – haben gar nicht mehr die Muße, über gesellschaftliche Grundsätze nachzudenken.
Nach Siemens gibt es nun auch gegen das Unternehmen MAN , zu dem Ferrostaal bis Herbst 2008 gehörte und in dem Sie bis März 2009 im Vorstand saßen, Korruptionsvorwürfe. Gehört Bestechung zur deutschen Unternehmenskultur?
Was genau MAN vorgeworfen wird, weiß ich nicht, weil ich nicht mehr dabei bin. Im Oktober 2008 wurde MAN Ferrostaal an den Staatsfonds IPIC aus Abu Dhabi verkauft. Ich glaube aber, dass ausländische Unternehmen das Thema Bestechung viel laxer handhaben. Nirgendwo wird Korruption so streng verfolgt wie in Deutschland, was auch mit dem Generalverdacht zu tun hat, unter dem Manager gerade stehen. Ein Beispiel: Wenn Sie U-Boote verkaufen, verkaufen Sie die nur, wenn Sie sehr, sehr gute Berater haben. Jede Marine auf der Welt hat ihre eigenen Vorstellungen, ihre eigenen technischen Vorgaben. Sie brauchen Lobbyisten und technische Berater, die die jeweilige Marine sehr gut kennen, und die lassen sich ihre Arbeit sehr teuer bezahlen, weil sie sehr genau wissen, dass sie da an der Schnittstelle sitzen. Da wird auch immer sofort unterstellt, man würde jemanden bestechen, was jedoch überhaupt nicht der Fall ist.
Ein schmaler Grat, oder?
Nein, es gibt sehr präzise Regeln, aber die müssen wir den Leuten erst beibringen. Wir machen sogar Workshops in unseren Außenvertretungen. Wir schicken unsere Mitarbeiter hin und sagen: Leute, es gibt Grenzen! Das könnt ihr machen – das könnt ihr nicht machen. Manche sagen: Wir können ja gar kein Geschäft mehr tätigen. Dann sagen wir: Dann macht ihr eben kein Geschäft mehr! Es ist eine Kultur, die sich ändern muss.
Gibt es legale Geschäfte, die Sie ablehnen würden – aus Ihrer familiären Prägung heraus?
Ja, wenn zum Beispiel Kinderarbeit im Spiel wäre. Aber so etwas wird uns gar nicht erst angeboten.
Die U-Boote waren eben nur ein fiktives Beispiel?
Nein, wir haben tatsächlich seit 40 Jahren eine Partnerschaft mit den Howaldtswerken Deutsche Werft, die U-Boote bauen.
Kriegsgerät.
Ja, wir arbeiten auch mit der Rheinmetall zusammen, die gepanzerte Fahrzeuge herstellt. Aber wir übernehmen den so genannten Offset: Regierungen, die ein Rüstungsgeschäft abschließen, verlangen heute meist Gegengeschäfte sozialer Natur. Die übernehmen wir: Wir haben zum Beispiel mal Teeplantagen gerettet, die vor dem Bankrott standen. Doch letztlich haben unsere Projekte etwas mit dem Rüstungsgeschäft zu tun.
Stört Sie das nicht?
Nein. Mir gefällt das Soziale dabei. Die Howaldtswerke haben beispielsweise für über eine Milliarde U-Boote nach Südafrika geliefert, und wir haben in großem Umfang Gegengeschäfte vereinbart. Wir haben damit Tausende von Arbeitsplätzen gerettet.
Adorno sagt: »Es gibt kein richtiges Leben im falschen.« Man kann sich im Kapitalismus noch so anstrengen, ein guter Mensch zu sein, man bleibt ein Kapitalist.
Mir war Adorno immer zu abstrakt. Was soll das sein: richtiges und falsches Leben? Ich kenne nur dieses eine Leben, und daraus soll man versuchen, etwas zu machen, was allen ein bisschen was bringt.
Werner Müller
»Machiavelli – ganz nett«
Werner Müller hat eine Hand in der Hosentasche, einen schlurfenden Gang und einen Fahrer, der zehn Meter hinter ihm läuft und seine Aktentasche trägt.
Das fast altmodische Wort Industriepolitiker beschreibt ihn gut, denn Müller hat sein Leben lang an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik gearbeitet – und er entschied mal auf der
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