Die da oben - Innenansichten aus deutschen Chefetagen
vernichten; wegen leichter Demütigungen rächen sie sich, wegen schwerer vermögen sie es nicht.
Ja.
Das ist doch brutal, oder?
Ohne eine gewisse Härte und Robustheit geht es nicht. Aber man darf nicht hintenherum hart sein, sondern mit offenem Visier. Und muss dazu stehen. Kurz bevor ich bei Evonik aufhörte, habe ich noch die Trennung von einem Kollegen herbeigeführt – Machiavelli würde sagen: aus Räson. Der modernere Ausdruck ist: aus Konzerninteresse.
Raphael Seligmann hat über Sie geschrieben: Müller pflegt Menschen. Das stellt man sich eigentlich anders vor.
Ich bin normalerweise zu den Leuten schon nett. Ich kucke mir sie aber vorher an, und wenn ich feststelle, zu dem werde ich nie Vertrauen haben können, dann sage ich: Wir trennen uns besser.
Wie pflegen Sie Menschen? Laden Sie die zu sich nach Hause ein?
Nein. Ich besuche auch keine dieser halbprivaten Veranstaltungen: Bälle oder Empfänge. Die Zeit wäre mir einfach zu schade. Und da tut sich dann noch unter Umständen etwas auf, das unter Beobachtung zu halten anstrengend ist. Ein Chef, den ich sehr verehrt habe, hat über diese ganzen Zirkel oder Klüngel oder wie man das nennt 1980 mal gesagt: »Herr Müller, wenn die Frauen beginnen, sich zu duzen, dann ist höchste Vorsicht geboten!« Das ist ein Satz, den ich nie vergessen werde. Da ist viel dran.
Was stört Sie genau: mögliche Vereinnahmung?
Sie haben mich ja eben darauf hingewiesen, dass der eine oder andere Mitarbeiter später nicht mehr da war. Da waren auch Leute dabei, die gingen mit Vorstandsvorsitzenden der größten Unternehmen jeden Morgen zum Frühsport und dachten, damit wären sie rundherum geschützt.
Sie waren von 1998 bis 2002 Minister der Schröder-Regierung. Da mussten Sie aber abends unter die Leute.
Nein. Ich war nicht mal auf dem Presseball. Wozu ich am Ende gedrängt wurde, waren Talkshows im Fernsehen. Da hat Schröder Wert darauf gelegt, dass ich dort auch mal hinging. Vorher habe ich auch diese Einladungen immer abgelehnt.
Wie hat Schröder das ausgedrückt?
Er hat gesagt: Auch du musst jetzt mal einen Beitrag dazu leisten, dass das mit der Wiederwahl klappt. Oder so ähnlich.
Schröder hatte unter anderem Ihnen zu verdanken, dass er 1998 überhaupt an die Macht kam. Sie sollen den Begriff ›Neue Mitte‹ erfunden haben, der die SPD für breite Schichten erst wählbar machte.
Ich habe ihn nur gefunden. Als in meiner Nachbarstadt das Einkaufszentrum Centro in Oberhausen gebaut wurde, schrieben die Zeitungen darüber unter dem Etikett Neue Mitte Oberhausen. Als Linguist merkt man sich so was.
Sie haben in Linguistik sogar promoviert. Warum, glauben Sie, verwenden Manager so häufig Floskeln wie ›aufgestellt sein‹ oder ›freistellen‹?
Gelegentlich aus der behaupteten Notwendigkeit heraus, Dinge verschleiern zu müssen. Da wird dann verbal rumgeeiert. Da kommt nichts Anständiges bei heraus. Meine Sache ist das nicht. Ich sage in der Regel, was ich denke, auch wenn ich deshalb hin und wieder etwas Ärger habe.
Stört Sie, dass Manager so floskelhaft sprechen?
Da bin ich unempfindlich. Mich nervt mehr, mit welcher Aalglätte mancher Kollege etwas vorbringt. Oder wenn man sonst wie spürt, dass jemandem die Kinderstube abgeht.
Zum Beispiel?
Wenn Sie mit dem Bundeskanzler und einer Wirtschaftsdelegation nach China fliegen, ist das in den altertümlichen Regierungsmaschinen kein Vergnügen. Wenn Sie dann in Peking ausrollen und neben Ihnen landet eine Privatmaschine, eine Challenger, und es steigt einer aus, der zu der Delegation gehört, dann ist das schon befremdlich. Dass sich da einer nicht der Gruppensituation beugt und Holzklasse mit dem Kanzler fliegt, zeigt, dass er etwas demonstrieren muss.
Sie pflegen das gegenteilige Image: das des bodenständigen, im Ruhrgebiet verwurzelten Managers.
Ich pflege dieses Image nicht. Der Eindruck ist wahrscheinlich entstanden, weil die RAG /Evonik hier im Ruhrgebiet die meisten Mitarbeiter beschäftigt. Insbesondere solange der Bergbau noch zum Konzern gehörte. Da entstanden die wirkmächtigeren Bilder.
Eines der bekanntesten Fotos von Ihnen zeigt Sie bei den Kohlekumpeln unter Tage. Mit Helm, rußverschmiertem Gesicht. Sonst lassen sich nur Politiker so fotografieren. Josef Ackermann von der Deutschen Bank sieht man dagegen in New York, London, auf den großen Finanzplätzen.
Und was hat er davon?
Darum geht es nicht. Es geht um Managerbilder, um Typologien.
Das sind diese
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