Die Daemmerung
völlig verwirrten.
»Deine Opalia und ihre Mutter sagen mir jetzt schon so viele Jahre, was ich tun soll, dass ich gar nicht mehr weiß, was ich täte, wenn ich je irgendetwas selbst entscheiden könnte — wahrscheinlich auf der Stelle tot umfallen.«
Chert, der sich von der Ehe mit Opalia nie etwas anderes erwartet hatte als das, was ihm zuteil geworden war, nämlich eine Ehefrau, die ihn ebenso leidenschaftlich liebte, wie sie mit ihm stritt, hatte nur lächelnd genickt.
»Ein paar Tage?«, sagte sie jetzt. »Wenn man die Leute hier reden hört, kann in ein, zwei Tagen das Ende der Welt da sein — meinst du, da beruhigt mich das?« Aber sie widersprach nur aus Gewohnheit — sie hatten es alles durchdiskutiert und waren zum selben Ergebnis gekommen, ja, im Grunde war dieses Unternehmen hauptsächlich Opalias Idee. Jetzt, da klar war, dass wirklich ein Krieg drohte, wurden in Funderlingsstadt die Männer einberufen, und Opalia hatte befunden, dass die Frauen ebenfalls ihren Teil beitragen sollten: Sie würde zurückgehen und Vermillona Zinnober und noch ein paar angesehene Frauen dafür mobilisieren, die zu den Waffen gerufenen Männer mit allem Nötigen zu versorgen und für diejenigen einzuspringen, die jetzt wichtige Aufgaben in der Stadt nicht mehr versehen konnten. Chert war stolz auf sie und wusste, sie würde es gut machen. Wenn Opalia sich etwas in den Kopf setzte, passierte es auch.
»Die Welt geht nicht unter, wenn du nicht da bist, mein altes Mädchen«, erklärte er ihr. »Das würde sie sich nie getrauen. Versprich mir nur, dass du bei Zitrine wohnst wie abgemacht — geh nicht in unser Haus. Wenn du irgendwas brauchst, schick jemand anderen hin, für den Fall, dass das Haus beobachtet wird.«
»Wie sollte es denn beobachtet werden, ohne dass ganz Funderlingsstadt es mitbekommt?«
Chert schüttelte den Kopf. »Du denkst an Soldaten — Großwüchsige. Aber ich halte es nicht bei allen unseren Nachbarn für ausgeschlossen, dass sie für Geld den Konnetabel benachrichtigen, wenn sie dich wieder in unserem Haus sehen. Deshalb haben wir doch außerhalb der Familie niemandem gesagt, wohin wir gegangen sind.«
»Wer denkt hier, dass die Welt zum Stillstand kommt, wenn er sie nicht persönlich in Bewegung hält?«, fragte sie, doch an ihrer Stimme hörte er, dass sie nicht ärgerlich war. Sie drückte ihn noch einmal, machte sich dann los. »Dass du mir ja gut auf den Jungen aufpasst.«
»Natürlich.«
»Ich wollte, ich könnte ihn mitnehmen.«
»Aber wenn jemand das Haus beobachtet — was wäre auffälliger? Nein, meine Liebste, er muss hierbleiben, und du musst so schnell wie möglich wieder zu uns zurückkommen.«
Opalia reckte sich, um ihn auf die Wange zu küssen, und er küsste sie auf den Mund, was sie überraschte und zum Lächeln brachte. Sie schwang sich die Tasche über die Schulter und wandte sich dorthin, wo Bruder Natron, ein Freund von Bruder Antimon, in taktvoller Entfernung wartete, dass ihr Abschied beendet wäre. Natron schien ein intelligenter, umsichtiger junger Mann, was Chert ein wenig erleichterte, aber ihm wäre der vertraute, verlässliche Antimon lieber gewesen, doch der war ja mit Ferras Vansen und ein paar Funderlingswächtern unterwegs, die äußeren Gänge auf mögliche Invasionsstollen hin zu kontrollieren.
Plötzlich schnürte ihm Angst die Kehle zu. »Komm heil zu mir zurück, meine Einziggeliebte«, rief er, doch Opalia und der junge Mönch waren schon außer Sicht.
»Papa Chert, du musst mir helfen.«
Er konnte den Jungen nur verblüfft anstarren — es war das erste Mal, dass Flint ihn so nannte. Was umso merkwürdiger war, als der Junge die letzten Tage fast nur geschwiegen hatte. Jetzt, da Opalia weg war, schien er wieder eine seiner seltsamen Veränderungen durchgemacht zu haben.
»Helfen?«
Flint setzte sich auf, schwang die Beine aus dem Bett, bückte sich dann und grabbelte auf dem Steinboden nach seinen Schuhen. »Ich will mit dem Alten reden. Mit dem, der die Träume hat.«
Chert konnte nur den Kopf schütteln. »Wovon sprichst du?«
»Hier ist ein alter Mann. Er hat Träume. Jeder kennt ihn. Ich muss mit ihm reden.«
Chert erinnerte sich dunkel. »Großvater Sulphur? Aber woher weißt du das? Du warst doch nicht dabei, als uns Nickel von ihm erzählt hat.«
Flint ignorierte dieses unwichtige Detail. »Bring mich zu ihm, bitte. Ich muss mit ihm reden.«
Chert starrte dieses rätselhafte, verwirrende, ja manchmal regelrecht beängstigende Kind
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