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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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Er blieb mitten auf dem Weg stehen, wandte sich ihr zu und nahm mit beiden Händen ihre Rechte. »Und mir geht es deshalb besonders nah, Briony Eddon, weil ich Euch so außerordentlich schätze. Es gibt nichts, was ich nicht für Euch tun würde.«
    Sie senkte den Blick. Seine Hände waren warm. Er hatte die Handschuhe ausgezogen.
    »Das überrascht Euch doch wohl nicht.« Der Prinz schien beunruhigt. »War es etwa reine Torheit von mir anzunehmen, auch Ihr hegtet Gefühle für mich?«
    Briony hielt den Atem an. Wochenlang hatte sie auf diesen Moment hingearbeitet, aber jetzt war sie verwirrt. Eneas
war
ein wunderbarer Mann, freundlich und klug. Jedermann wusste um seine Tapferkeit. Und als sie ihn jetzt anblickte und seine kräftigen, ebenmäßigen Züge sah, wurde ihr klar: Obwohl man ihn nicht als gottähnlich schön bezeichnen konnte, würde sich doch jede Frau glücklich preisen, ihn zu bekommen, selbst wenn er nicht der Kronprinz des mächtigen Syan wäre. Aber er war es. Und sie brauchte ihn mit seiner Stellung und seiner Macht, um ihr Volk und den Thron ihrer Familie zu retten. Woher dann diese plötzliche Verwirrung und Sprachlosigkeit?
    »Ihr sagt nichts mehr, Prinzessin. Ihr gehört doch nicht zu den Frauen, die in Anwesenheit eines Mannes verstummen. Ich fürchte, ich habe Euch irgendwie verletzt.«
    »Nein. Nein, Königliche Hoheit — Prinz Eneas Ihr habt mir eine große Ehre erwiesen.« Für einen Moment lagen ihr Theaterspiel und die Wahrheit ihres Herzens so nah beieinander, dass sie sie nicht zu unterscheiden vermochte. »Ich halte sehr große Stücke auf Euch. Für mich seid Ihr der bewundernswerteste Mann in diesem ganzen großen Königreich ...«
    Sanft nahm er eine Hand weg und überspielte seine Betroffenheit notdürftig, indem er sich das schwarze Haar aus der Stirn strich.
    »›Aber‹, wollt Ihr jetzt sagen. Aber es gibt da jemanden, dem Euer Herz gehört, dem Ihr vielleicht bereits im Tempel die Ehe versprochen habt.«
    »Nein?« Doch er lag ja nicht ganz falsch — sie hegte wirklich Gefühle für einen anderen Mann, so verwirrend und unziemlich, ja, lächerlich sie auch sein mochten. Aber dieser andere Mann konnte ihr Reich nicht retten. Eneas konnte es — falls überhaupt ein Mensch dieser Aufgabe gewachsen war. »Nein, das ist es nicht. Es ist nur ... ich kann mir keine Gefühle gegenüber irgendjemandem erlauben, nicht einmal gegenüber jemandem wie Euch, obwohl Ihr der Traum einer jeden Frau seid, die ihre fünf Sinne beisammen hat. Ich kann nicht.« Sie wollte ihm ihre Hand entziehen, fühlte sich jedoch dem Augenblick ausgeliefert wie ein Blatt im Wind.
    »Aber warum denn nicht?« Eneas ließ sie nicht los. Er war stark. Seine gebieterische Kraft, das spürte sie, würde auf jeden wirken, der Überlegenheit suchte — vor allem auf jede Frau, für die das galt. »Warum könnt Ihr Euch nicht von Eurem Herzen leiten lassen?«
    Auf ebendiesen Moment hatte sie gewartet — ihn sich fast schon erregt ausgemalt, so wie ein Jäger von dem Moment träumen mag, da der Hirsch frei und nichtsahnend auf einer Lichtung steht, die Brust dem tödlichen Pfeil dargeboten. Doch jetzt, da der Moment da war, erfüllte er sie mit Unbehagen. Wie konnte sie einen anständigen Mann auf diese Art benutzen, selbst wenn es um die Rettung des Throns ihrer Familie ging? Wie konnte sie ihm Liebe vortäuschen, nur um seine Hilfe zu erlangen?
    Oder schlimmer noch: Täuschte sie vielleicht gar nichts vor?
    »Ich ... ich muss nachdenken«, wich sie aus. »Ich war auf so etwas nicht gefasst. Ich hatte gehofft, hier am Hof Eures Vaters Verbündete gegen die Feinde meiner Familie, die niederträchtigen Tollys, zu finden. Ich hatte nicht damit gerechnet, jemanden zu finden, der ... der mir etwas bedeuten könnte. Ich muss nachdenken.« Sie blickte über die strengen Pflanzenornamente des Gartens. Entfernte Figuren, zu weit weg, um identifizierbar zu sein, vollzogen ihre eigenen Dramen — alle, sie selbst eingeschlossen, so ohnmächtig in ihrem Handeln wie Nevin Kennits oder Finn Teodorus' Geschöpfe aus Luft und Rauch, Ideen, zu Papier gebracht und für ein Abendessen und eine Unterkunft dargestellt. Wie war sie nur dahin gekommen, in einem so merkwürdigen Stück zu spielen? Hatte sie überhaupt noch die Kontrolle über ihr Spiel, oder hatte ihr Spiel die Kontrolle über sie?
    »Natürlich«, sagte Eneas schließlich. Der Prinz konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. »Natürlich werde ich Euch Zeit lassen,

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