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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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fragte er noch einmal.
    »Über die Marktstraßenbrücke, dann Richtung Wachturm bis zur fünften Laterne.«
    »Und woher weißt du das? Wer hat es dir gesagt?«
    Der Junge sah ihn an, als hätte Chert ihn gefragt, warum er immer wieder einatme. »Niemand, Vater. Ich habe es gesehen.«
    Als sie sich der Brücke näherten, bemühte sich Chert, sein Gesicht vor allen Passanten zu verbergen. Die Marktstraßenbrücke war ein kurzer, hochgewölbter Brückenbogen über den Kanal, der die beiden Lagunen von Südmarksburg verband. Dort, wo der Kanal durch sumpfiges Terrain zur Nordlagune führte, bildete er ein kleines Mündungsdelta, das normalerweise vielen Vögeln als Heimstatt diente, doch in diesen Zeiten der Entbehrung, da sich noch dazu so viele hungrige Menschen in der Burg drängten, waren die meisten dieser Vögel längst gefangen und verspeist. Die Fackel auf der Brücke war erloschen, der schmale Streifen aus Wasser, Gras und Sand unter ihnen still und selbst für die scharfen Augen eines Funderlings kaum zu erkennen. Es war, als durchquerten sie die Leere zwischen zwei Sternen.
    Jenseits der Brücke bogen sie von der Straße ab, auf einen schmalen, ebenfalls kaum sichtbaren Ufersteg aus rohen Bohlen. Diesem dunklen Pfad folgend, erreichten sie den schwachen Schein einer Fischhautlaterne, die an einem Pfahl am Rand des Kanals hing. Sie passierten drei weitere Laternen an einem weitgehend leeren Teil der Skimmerlagune, doch die fünfte und letzte Laterne beschien nicht nur schwarzes Wasser und den Ufersteg: Eine wacklige Konstruktion aus Planken und Seilen zog sich aus dem Lichtschein der Laterne auf die dunkle Lagune hinaus, zu einer schwarzen, unregelmäßig geformten Silhouette, auf der ein paar kleinere, rötliche Lichter glommen wie Glutreste eines Lagerfeuers. Leise Wellen leckten am Ufersteg unter ihren Füßen.
    »Was wollen wir hier?«, flüsterte Chert. »Woher kennst du diesen Ort? Ich gehe nicht weiter, ehe ich nicht ein paar Antworten kriege, Junge.«
    Flint sah ihn an, bleich im Schein der Fischhaut. Plötzlich fürchtete sich Chert, nicht vor dem Jungen selbst, sondern vor dem, was er sagen könnte, den Veränderungen, die es womöglich bedeuten würde. Doch Flint schüttelte nur den Kopf.
    »Ich kann dir keine Antworten geben, Vater — ich kann es nicht erklären. Ich habe diesen Ort im Schlaf gesehen, und mir war klar, dass ich hierherkommen muss. Ich weiß, was ich tun muss. Du musst mir vertrauen.«
    Chert starrte in das kleine Gesicht, das so vertraut und doch so unergründlich fremd war.
    »Nun gut, ich vertraue dir. Aber wenn ich sage, wir gehen, gehen wir. Verstanden?«
    Der Junge antwortete nicht, wandte sich nur den schwankenden Laufplanken zu und ging sie entlang.
    Der Kahn am anderen Ende war flach, aber breit, das Deck ein Chaos von Kabinen und kleineren Anbauten. Man glaubte sich eher in einem Lagerraum als auf einem seetüchtigen Schiff. In mehreren der winzigen Fenster flackerte Licht, doch Flint strebte unbeirrt zu einer stockdunklen Stelle an der Seite. Als Chert ihn einholte, hatte der Junge schon zweimal an die dort befindliche Kabinentür geklopft.
    Die Tür öffnete sich einen Spalt. »Was willst du?«, fragte eine leise Stimme.
    »Mit eurem Anführer sprechen.«
    »Und wer will ihn sprechen?«
    »Ein Bote von Kioy-a-pous.«
    Chert starrte den Jungen an. Kioy-a-pous? Wer oder was war das? Und was, bei den Alten der Erde, ging hier vor sich?
    Die Tür ging auf, und bernsteinfarbenes Licht fiel heraus. Ein Skimmermädchen stand da und wartete, dass sie eintraten. Chert hatte noch nie jemanden ihrer Art von Nahem gesehen. Ihr ernstes Gesicht ähnelte manchen der alten Ritzzeichnungen, die er im Fels unter Funderlingsstadt erblickt hatte, was keinerlei Sinn ergab — warum sollten die Funderlinge Felszeichnungen von Skimmern haben?
    Das Mädchen führte sie einen langen, dunklen Gang entlang. Chert spürte die ständigen Bewegungen des Schiffs unter seinen Füßen, ein äußerst beunruhigendes Gefühl für jemanden, der sein ganzes Leben auf Stein zugebracht hatte. Sie führte sie in eine niedrige, große Kabine, wo ein halbes Dutzend Skimmermänner um einen Tisch saßen, dessen Höhe der des Raums angepasst war: Die Skimmer saßen allesamt auf dem Boden, die Beine angewinkelt. Als sie sich Chert und Flint zuwandten, wirkten sie mit ihren weit auseinanderstehenden Augen und haarlosen Gesichtern wie eine Versammlung von Fröschen in einem Tümpel.
    »Mein Vater, Turley

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