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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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Brone erwartete doch wohl nicht, dass er Okros auch noch ins Schlafgemach folgte?
    Er hörte die Tür aufgehen, ehe er die Bewegung sah. Obwohl er einen guten Steinwurf entfernt und vom Dunkel der Empore verhüllt war, duckte sich Kettelsmit so tief, dass er gerade noch über die Balustrade spähen konnte.
    Wie er sich inständig erhofft hatte, kam aus der Tür Okros, unverkennbar wegen seiner trotz der voluminösen Gewänder zierlichen Gestalt und des kahlen Kopfs, doch zu Kettelsnlits Überraschung war er nicht allein: Drei kräftige Männer in zweifarbigen Waffenröcken mit dem Tolly'schen Eber und den Speeren folgten dem Arzt, und ein weiterer Mann in einem dunklen Kapuzenmantel ging an seiner Seite. Allein schon die eleganten Bewegungen des vermummten Mannes sagten Kettelsmit, um wen es sich handelte. Sein Herz raste. Okros und Hendon Tolly, auf dem Weg irgendwohin — er würde ihnen folgen müssen.
    Bei dem bloßen Gedanken wurde ihm ganz schlecht.

    Er hatte damit gerechnet, dass sie in die Gemächer des Arztes gehen würden, doch jede Hoffnung, im Palast bleiben zu können, zerschlug sich jäh, als Okros die kleine Schar zu einem Nebenausgang hinausführte. Kettelsmit tat sein Bestes, möglichst viel Abstand zu halten, und als er ihnen nach draußen folgte, schwatzte er noch kurz mit den Türwachen, beklagte sich über seine Schlaflosigkeit und erklärte, dass etwas kühle Nachtluft gut dagegen sei.
    Kühle Nachtluft — allerdings, dachte er, als er durch den seitlichen Garten eilte und seine Beobachtungsobjekte anhand der Fackeln, die sie aus dem Palast mitgenommen hatten, wieder auszumachen versuchte. Tatsächlich war es bitter kalt. Und er trug nur seinen wollenen Umhang über einem dünnen Hemd — hatte keine Mütze, keine Handschuhe, nicht einmal eine Fackel, um nicht zu stolpern. Fluch über Brone und seine elenden Einschüchterungsmethoden?
    Er fand sie wieder, wie sie gerade den Hauptweg überquerten, der zur Waffenkammer und zu den Gardekasernen führte, und folgte ihnen in gebührendem Abstand. Einer der Gardesoldaten trug ein großes, in Stoff gewickeltes Bündel, und der andere hielt mit spitzen Fingern etwas Kleineres, ebenfalls Umhülltes — konnte das der Hahn sein? Aber warum sollten sie um diese Nachtzeit einen Hahn durch die Gegend tragen, wenn nicht, um ihn bei irgendeinem finsteren Ritual zu benutzen? Kettelsmit fühlte, wie sein Blut noch eisiger wurde, als es von der Nachtluft ohnehin schon war.
    Gleich darauf, als die Männer von dem Hauptweg, der zum Thronsaal führte, abbogen und einem gewundenen Pfad bei der königlichen Kapelle folgten, gefror dem Dichter das Blut endgültig in den Adern. Tolly und Okros steuerten genau auf den Friedhof zu.
    Es kostete ihn alle Überwindung, ihnen weiter zu folgen. Kettelsmit graute es vor Friedhöfen, und der zugewucherte Friedhof der Kapelle war einer der gruseligsten, mit seinen seltsamen alten Statuen und den Mausoleen, die wie Gefängnisse für ruhelose Tote aussahen. Nur die Angst vor Avin Brone trieb ihn weiter — nun ja, und auch eine gewisse Neugier. Was hatte Okros vor? Wollte er die Götter hier an diesem einsamen Ort anrufen, zu dieser Geisterstunde? Aber warum?
    Die Männer blieben vor dem Eingang zur Eddon'schen Familiengruft stehen, und Kettelsmit musste ein entsetztes Stöhnen unterdrücken. Hendon Tolly hatte einen Schlüssel um den Hals hängen. Als die Tür zur Gruft geöffnet war, gingen vier der Männer die Treppe hinunter, und ein Soldat blieb als Wachposten oben zurück. Das Licht der Fackeln wurde schwächer, als sie hinabstiegen, doch der Schein glomm immer noch in der Türöffnung. Kettelsmit war sehr froh, dass er nicht mit ihnen in diesem Haus des Todes war und die Schatten über die Wände kriechen und flackern sehen musste.
    Der Soldat, der zunächst stramm und wachsam neben dem Eingang gestanden hatte, lockerte nach einem Weilchen seine Haltung und lehnte sich schließlich gegen die Vorderwand des Grabmals, den Spieß neben sich an der Wand deponiert. Kettelsmit (der sich niemals für so kühn gehalten hätte) befand, dass das ein guter Moment wäre, etwas näher hinzuschleichen, um vielleicht etwas von dem zu hören, was drunten gesagt wurde. Das wäre Brone doch bestimmt einen Extra-Seestern wert — vielleicht sogar eine Silberkönigin oder zwei!
    Er umging den Fackelschein, der aus der Tür fiel, im großen Bogen, bis er fast an der Wand der Kapelle war. Er konnte den Wachposten von hinten sehen, und die

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