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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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schlaffe Haltung des Mannes ermutigte ihn, weiterzuschleichen, bis er nur noch ein paar Schritte von der Grufttür entfernt war. Er duckte sich hinter ein Grabmal, das halb mit Efeu überwachsen war, der von der Kapellenwand herabkroch.
    »Aber nicht so«,
sagte jemand in der Gruft — die Worte drangen nur schwach herauf, waren jedoch klar zu verstehen. Kettelsmit hielt es für Okros' Stimme.
»Wichtig ist nicht das Opfer hier, sondern das Opfer dort.«
    »Ihr ermüdet mich«,
sagte eine andere Stimme — eine, die Kettelsmit nur zu bekannt war. Sein törichter Optimismus verflog jäh. Was hatte ein Dichter hier mitten in der Nacht herumzuspionieren? Wenn Hendon Tolly ihn erwischte, würde er ihn bei lebendigem Leib häuten lassenl Nur die Angst, Geräusche zu machen und den Wachposten zu alarmieren, hielt Kettelsmit davon ab, sich umzudrehen und in den Palast zurückzurennen. Er zitterte jetzt so heftig, dass er in seiner Kauerstellung kaum das Gleichgewicht halten konnte. »
Und langweilt mich«,
fuhr Tolly fort.
»Das ist nicht meine beste Stimmung, Quacksalber. Ich würde vorschlagen, dass Ihr etwas tut, um mein Interesse wieder zu wecken.«
    »Ich ... ich versuche es ja, Herr«,
sagte Okros hörbar nervös.
»Es ist nur ... wir müssen ... ich muss vorsichtig sein. Das sind gewaltige Mächte!«
    »Ja, aber im Augenblick bin ich die gewaltigste Macht, die Ihr kennt. Also los. Vollzieht das Opfer, wie immer es Euch gutdünkt — aber vollzieht es endlich. Wir müssen herausfinden, wo sich dieser Gottstein befindet, oder wir haben keine Chance, uns die Kräfte dienstbar zu machen. Wenn dieses Spiel nicht aufgeht, Okros, werde ich nicht allein die Folgen tragen, das verspreche ich Euch ...«
    »Bitte, Herr, bitte! Ihr seht ja, ich tue, wie Ihr mich heißt ...«
    »Ihr stupft nur, Dummkopf Habe ich Euch unvorstellbare Reichtümer versprochen, nur um Euch an einem Spiegelbild herumstupfen
zu
sehen? Langt hinein, Mann! Macht schon!«
    »Gewiss, Herr. Aber es ist nicht ... so leicht ...«
    Dann, kaum dass die Stimme des Arztes leiser geworden war und Kettelsmit sich vorgebeugt hatte, um besser zu hören, zerriss plötzlich ein Schrei das Dunkel, so jäh und so grässlich, dass er nicht klang wie aus einer menschlichen Kehle, und ebenso plötzlich wurde der Schrei zu einem erstickten Gurgeln, das ein, zwei jagende Herzschläge lang anhielt, ehe es im Poltern und Trampeln von Männern unterging, die die Steintreppe hinaufflohen.
    Der Erste, der aus der Gruft stürzte, war einer der Garden. Er sackte am oberen Ende der Treppe in die Knie und erbrach sich. Der zweite Soldat rannte an ihm vorbei, eine Hand vor den Mund gepresst und mit der anderen eine Fackel schwenkend. Der erste Soldat rappelte sich, noch immer speiend, hoch und rannte hinter seinem Kameraden her, im Zickzack zwischen den Grabmalen hindurch.
    Hendon Tollys lange, kapuzenvermummte Gestalt erschien in der Grufttür, das große, tuchumhüllte Bündel in den Armen. »Mach, dass du in den Palast zurückkommst«, befahl er dem Soldaten, der ihn jetzt mit offenem Mund angaffte.
    »Aber ... Herr ...«
    »Halt den Mund, Idiot, und beweg deinen Hintern. Folge dem Schwachkopf mit der Fackel. Wir dürfen nicht hier ertappt werden. Zu viel zu erklären.«
    »Aber ... der Arzt ...?«
    »Wenn ich dir noch ein Mal sagen muss, dass du still sein sollst, werde ich dich endgültig zum Schweigen bringen, indem ich dir die Kehle durchschneide.
Los!«
    Im nächsten Moment waren sie in der Dunkelheit verschwunden, und Kettelsmit blieb perplex und zitternd auf dem Friedhof zurück. Die Tür zur Gruft stand immer noch offen. Von unten kam immer noch flackerndes Licht.
    Matty Kettelsmit wollte diese Treppe nicht hinuntergehen — niemand, der halbwegs bei Verstand war, würde so etwas tun. Aber was war da passiert? Warum brannte dort unten immer noch eine Fackel, obwohl es ganz still war? Zumindest sollte er hingehen und die Fackel an sich nehmen — er wollte nicht noch mal ohne Licht über den Friedhof gehen.
    Kettelsmit würde nie erklären können, warum er tat, was er tat. Um den Helden zu spielen bestimmt nicht — er wäre der Erste gewesen, der zugab, kein mutiger Mann zu sein. Und gewöhnliche Neugier war es auch nicht — reine Neugier hätte niemals über diese Angst zu siegen vermocht —, aber etwas Ähnliches war es schon. Er konnte nur so viel sagen, dass er es irgendwie wissen
musste.
In diesem Moment, auf dem dunklen Kapellenfriedhof, war er sich sicher, dass

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