Die Daemmerung
Hand und legte sie auf seine schmale Brust. Qinnitan wusste, diese Geste bedeutete, »Ich habe Angst«. Sie zog ihn an sich und hielt ihn fest, als das xixische Schiff besonders heftig in den Wellen rollte. »Hab keine Angst, Spatz, er wird dir nichts tun. Er hat dich nur hierher gebracht, damit ich nicht über Bord springe und nach Hierosol zu schwimmen versuche.«
Er sah sie vorwurfvoll an: Schließlich hatte er ja nicht nur Angst um sich selbst.
»Es geht ganz bestimmt gut«, sagte sie, aber sie wussten beide, dass sie schwindelte. »Du wirst sehen«, flüsterte Qinnitan, »wir finden eine Möglichkeit zu fliehen, ehe wir den Autarchen eingeholt haben.«
Plötzlich flog die Kabinentür auf. Mit völlig ausdruckslosem Gesicht, so als dächte er etwas ganz anderes, starrte der Mann, der sie auf den Straßen von Hierosol aufgegriffen hatte, zu ihnen herüber. In seiner Verkleidung als alte Frau hatte er sehr überzeugend Gefühle gemimt, doch jetzt hatte er sie abgelegt, als wäre Menschlichkeit nichts als eine Maske, die er eine Zeitlang getragen hatte.
»Was wollt Ihr?«, fragte sie. »Habt Ihr Angst, dass wir uns durch die verschlossene Tür hinausstehlen? Die Masten hochklettern und auf einer Wolke davonschweben?«
Er sah sie nicht einmal an, als er an ihnen vorbeiging. Er rüttelte kräftig an den Gitterstäben vor dem Fenster, um zu prüfen, ob sie auch wirklich hielten, drehte sich dann um und musterte das Innere der winzigen Kabine.
»Wie heißt Ihr?«, fragte Qinnitan.
Seine Lippen zuckten. »Spielt keine Rolle.«
»Wir werden auf diesem Schiff zusammen sein, bis wir den Autarchen erreicht haben und Ihr Euer Blutgeld erhaltet. Ihr wisst mit Sicherheit meinen Namen und noch viel mehr — Ihr müsst mir wochenlang gefolgt sein und jeden meiner Schritte beobachtet haben. Bei den Heiligen Bienenstöcken, Ihr habt Euch sogar wie ein altes Weib gekleidet, um mich auszuspähen? Da könntet Ihr mir wenigstens sagen, wer Ihr seid.«
Er antwortete nicht, und sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos, als er sich abwandte und die Kabine verließ. Er bewegte sich so geschmeidig und präzise wie ein Tempeltänzer. Fast hätte sie ihn dafür bewundert, aber sie wusste, das wäre, als bewunderte eine Maus die mörderische Grazie einer Katze.
Sie fühlte etwas Feuchtes auf ihrem Arm. Spatz weinte.
»Ist ja gut, ist ja gut«, flüsterte sie. »Schscht, hab keine Angst. Ich erzähle dir eine Geschichte — willst du eine Geschichte hören?« Und ohne die Antwort abzuwarten, begann sie: »Kennst du die wahre Geschichte von Habbili Krummling? Von ihm hast du bestimmt schon gehört — er war der Sohn des großen Gottes Nushash, doch als sein Vater ins Exil getrieben wurde, fand sich Habbili von Argal und den übrigen Dämonengöttern sehr schlecht behandelt. Eine Zeitlang schien es unmöglich, dass er überleben würde, doch schließlich vernichtete er seine Feinde und rettete seinen Vater und sogar den Himmel selbst. Willst du mehr darüber wissen?«
Spatz schniefte immer noch, aber sie meinte ein Nicken zu spüren.
»Manches ist ein bisschen beängstigend, du musst also tapfer sein, ja? Dann erzähl ich's dir.« Und sie erzählte ihm die Geschichte genau so, wie ihr Vater sie ihr erzählt hatte.
Vor langer, langer Zeit, als Pferde noch fliegen konnten und die große rote Wüste von Xand noch Gras, Blumen und Bäume trug, ritt der große Gott Nushash dahin und begegnete Suya, der Blume der Morgenröte. Ihre Schönheit nahm sein Herz gefangen. Er wandte sich an ihren Vater Argal den Donnerer, der sein Halbbruder war, und hielt um ihre Hand an. Argal gab sofort seine Einwilligung, aber er hatte einen schändlichen, grausamen Plan, denn er und seine Brüder waren neidisch auf Nushash.
Nushash nahm also Suya mit, um sie seiner Familie vorzustellen. Da rief Argal seine Brüder Xergal und Efiyal zu sich und erklärte ihnen, Nushash habe seine Tochter entführt. Daraufhin scharten die Brüder ihre gesamten Diener und Krieger um sich und ritten nach Mondzahn, dem Haus des Mondherrn Xosh, der Nushashs Bruder war, denn dort weilten Nushash und seine junge Braut.
Der Krieg war lang und schrecklich, und in den Jahren, die er dauerte, wurde Nushash und Suya ein Sohn geboren. Sein Name war Habbili, und er war ein mutiges, wunderschönes Kind, der Augenstern seiner Eltern, weise und freundlich für seine Jahre.
Schließlich wurden der strahlende Nushash und seine Sippe durch die verräterischen Halbbrüder vernichtet. Suya,
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