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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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das für ein Wahnsinn?«
    »Aber ... Ihr müsst die Geschichte doch gehört haben. Viele Leute hier in Tessis verbreiten sie weiter — Ludis habe ihn im Tausch gegen sein eigenes Davonkommen übergeben, heißt es. Aber ängstigt Euch nicht zu sehr, edles Fräulein, bislang ist es nur ein Gerücht. Man weiß nichts Genaues ...«
    Sie fauchte wütend: »Beim Blute der Brüder! Davon hat mir keiner dieser verfluchten Syanesen auch nur ein Wort gesagt?« Sie hob den Arm, pflückte eine Blüte vom Ast über sich und hielt sie einen Moment in der Hand.
Keine Tränen,
ermahnte sie sich. Sie zerdrückte die Blüte zwischen den Fingern und ließ die Blütenblätter zu Boden rieseln. »Sagt mir alles, was Ihr gehört habt.« Die Tränen waren verebbt, ehe sie ihre Augen erreicht hatten. Sie fühlte etwas Kaltes, Hartes in ihrer Brust, als hätte sich um ihr Herz Eis gebildet.
    »Wie gesagt, edles Fräulein, das sind nur Geschichten, wirr und ...«
    »Ihr sollt mich nicht beruhigen, dan-Faar. Ich bin kein Kind mehr. Ihr sollt mich einfach nur ... informieren.« Sie atmete ein. Die Nacht schien sie enger zu umschließen; das eisige Dunkel in ihr stieg empor, das äußere Dunkel zu begrüßen. »Ich mag ja den Thron meiner Familie verloren haben, aber ich werde ihn wiedererlangen, das schwöre ich, und unsere Feinde werden für das büßen, was sie getan haben. Ja, das gelobe ich bei den Häuptern der Götter.«
    Sie sah in Dawets überraschtes Gesicht, das im Licht eines offenen Fensters gerade eben zu erkennen war. »Was starrt Ihr mich an, Mann! Verwendet Eure Zeit auf Sinnvolleres. Erzählt mir, was ich wissen will.«

12

Zwei Barmherzige und ein Dichter
    Es heißt, dass über die Elben seit den Zeiten der Götter ein und dasselbe Königspaar herrscht. Dieses unsterbliche Paar hat viele Namen, doch die gebräuchlichsten sind laut Rhantys, der Freunde unter den Qar gehabt haben soll, Eenur und Sakuri. Einige Geschichten besagen sogar, dass dieser König und seine Gemahlin wie die Herrscherpaare des alten Xis Bruder und Schwester sind.
    Eine Abhandlung über die Elbenvölker Eions und Xands
    Ein Tagzehnt oder länger hatte Matty Kettelsmit ganz Südmarksburg nach ihr abgesucht und darauf so gut wie jeden Augenblick verwandt, in dem er nicht bei Hofe oder mit Elans allmählicher Genesung befasst gewesen war; deshalb war es fast schon ärgerlich, dass er sie schließlich nur einen Steinwurf von seinem Mietszimmer nahe der Skimmerlagune fand. Sie hatte sich offenbar bei den Festlandsflüchtlingen, die jetzt in der belagerten Burg unter erbärmlichsten Umständen lebten, bereits einen Namen gemacht.
    Als er seine Mutter entdeckte, sprach er sie nicht gleich an, sondern folgte der großen, knochigen Frau, die, einen Korb in der Hand, von einem schäbigen Geschäft in der Linsenstraße zum nächsten ging und offenkundig Nahrungsmittel für die weniger Glücklichen sammelte. Seine Mutter, dachte Kettelsmit grimmig, hatte nie Schwierigkeiten, Leute zu finden, die sie für weniger glücklich erachtete als sich selbst. Sie witterte sie wie ein Jagdhund das Wild.
    Dennoch konnte er nicht umhin festzustellen, dass sie trotz der unbestreitbaren Rechtschaffenheit ihrer Sache jede vierte oder fünfte Spende, sei es ein trockener Brotlaib oder eine runzlige Zwiebel, in die eigene Tasche steckte. Sie mochte ja darauf bestehen, den weniger Glücklichen zu helfen, selbst wenn die ihre Unterstützung gar nicht wollten, aber Anamesiya Kettelsmit war von jeher genauso fest entschlossen, sich selbst zu helfen.
    Er näherte sich ihr schließlich beim großen Tempel auf dem Marktplatz, wo sie den Vertriebenen, die dort in einem traurigen Zeltlager aus Stöcken und schäbigen Decken hausten, Essensgaben in die Hand drückte. Beim Anblick ihrer energischen Bewegungen und ihrer markanten, spitzen Nase musste Kettelsmit unwillkürlich daran denken, wie sie sein Vater in einem seiner weniger nachsichtigen Momente genannt hatte —
dieser verdammte, einmischungssüchtige Specht.
    »Wenn du davon Zahnschmerzen bekommst«, erklärte sie gerade einem alten Mann, »liegt das an dir und nicht an meinem guten Brot, das ich dir umsonst gebe.«
    »Mutter?«, sagte Kettelsmit.
    Sie drehte sich um und starrte ihn an. Ihre knochige Hand fuhr an ihren Busen und das mandelförmige, hölzerne Zorienamulett, das sie an einer Schnur um den Hals trug. »Beim Trigon, was ist das? Bei den Heiligen Brüdern, bist du das, Matthias?« Sie musterte ihn von oben bis unten. »Das

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