Die Daemonen 01 - Die Daemonen
die Augen. Licht begann aus ihren Fingerspitzen zu glühen. Kurz darauf waren ihre Hände von rotierenden Lichtaureolen umgeben. Die anwesenden Menschen schnauften und ächzten, wagten aber nicht zu fliehen noch den Blick abzuwenden. Jetzt hüllte das Leuchten die ganze goldene Gestalt der vormaligen Kaiserin ein, bildete Zacken aus und schlängelnde Blitze. Einige Bediensteten kreischten, als erste Blitze zu tasten und zu wandern begannen, indem sie von Säule zu Säule sprangen. Das Leuchten wurde heller. Funken sprühten aus dem Körper der neuen Göttin. Meridienn hielt ihre Hände ausgestreckt und deutete mit jeder auf eine Säule. Dann schlugen seltsam langsame, sich wie Würmer windende Blitze aus ihren Fingern, niemand konnte mehr etwas erkennen. Zwei Säulen begannen zu glühen, obwohl sie aus Stein und nicht aus Metall bestanden. Hitze lieβ die Haare der Anwesenden wehen. Und dennoch wagte niemand zu fliehen, aus Furcht, von einem Blitz niedergestreckt zu werden. Schlieβlich war es vorbei. Die Luft im Wandelgang der tausend Säulen roch nach Rauch und nach etwas anderem, Fremdem. Schwefel, Minze und Limone. Die Göttin stand da, mit gesenktem Kopf. Die Säule zu ihrer Rechten hatte sich in reinstes Gold verwandelt, die Säule zu ihrer Linken in mattschwarze Kohle.
Durch die Zuschauer ging ein Ächzen, das wie eine Welle an einem Strand auslief.
Für ein paar Augenblicke war selbst Irathindur verunsichert. Er hatte vorgehabt, die rechte Säule in Gold und die linke in Diamant zu verwandeln, um die Menschen bei Hofe mit Reichtum und Wert zu überzeugen. Die Lebenskraft hatte jedoch nicht ausgereicht. Die eine Säule war Steinkohle geblieben, und so standen sie sich nun gegenüber. Gold und Schwarz. Irathindur und Gäus. Das konnte unmöglich ein Zufall sein. Das Schicksal wollte es so.
»Seht meine Macht!«, sagte er mit heiserer Stimme. »Verneigt euch vor mir, und euch wird es an nichts mangeln.« Alle Anwesenden fielen eilfertig auf die Knie und berührten mit ihren Stirnen, einige sogar mit ihren ganzen Gesichtern den Marmorboden. »Ich bin das Gold, der Gegner ist schwarz, dunkel, düster, dämonisch wie brennbare Kohle. Zu lange habe ich versucht, uns aus allem herauszuhalten. Vielleicht gibt es wirklich keinen anderen Weg.« Er spürte, dass seine Beine zu zittern begannen. Ein weiterer peinlicher Schwächeanfall kündigte sich an. Auch hatte er soeben das Wort »vielleicht« benutzt. Eine Göttin sagte niemals »vielleicht«. Eine Göttin trat mit Bestimmtheit auf, wenn ihre Gläubigen nicht von ihr abfallen sollten. Er riss sich zusammen. »Genug jetzt für heute!«, krächzte er. »Erwartet meine Befehle! Und stört mich nicht in dem Unaussprechlichen, das nun von mir in die Wege geleitet werden muss: der Tilgung des Landes Orison, um der Neuschöpfung des Landes Irathindurien willen.« Er raffte die Robe um seinen nackten, geschlechtslosen Leib undzog sich in seine Gemächer zurück. Niemand wagte mehr, ihn dort aufzusuchen. Die Göttin war nun entrückt.
Er lag auf dem Bett und versuchte, sein Zittern unter Kontrolle zu bekommen.
Wie seltsam das alles gewesen war. Seitdem sein Körper sich verwandelt hatte, seitdem die Kaiserin also mit Leib und Seele Dämonin geworden war, hatte er das deutliche Gefühl gehabt, mehr Kraft ausüben zu können als jemals zuvor. Das Spiel mit den beiden Säulen war eine Prüfung gewesen, der er sich selbst unterzogen hatte. Er hatte geahnt, dass es klappen könnte, aber dass er die Begrenztheit der Weltlebenskraft so deutlich würde spüren können, hatte er nicht erwartet. Es war gewesen, als hätte er mit beiden Händen in eine Schale voller Reis gegriffen und deutlich am Boden die hölzerne Rundung gespürt. Wie endlich doch alles war!
Er wusste nun, dass er Sterblichkeit besaβ. Dass auch ein Dämon vergehen würde wie ein Blatt an einem Baum oder ein Tier auf dem Feld, wenn er keine Lebenskraft mehr zum Trinken fand.
Er wusste aber auch, dass es nicht genügte, Gäus einfach immer nur im Rang zu übertreffen, um mehr Lebenskraft abzuzweigen als dieser. Nur durch Gäus’ Tod würde es Irathindur möglich sein, die eigene Lebensspanne nicht nur zu verdoppeln, sondern sogar zu vervielfachen, weil die Lebenskraft sich stets regenerierte. Wenn sich nur einer von ihr nährte, würde die Lebenskraft möglicherweise genügend Zeit haben, sich bis in alle Ewigkeit immer wieder neu aufzufüllen, ohne jemals in ihrer Gesamtheit weniger zu
Weitere Kostenlose Bücher