Die Daemonen 02 - Freiheit oder Finsternis
sich aber alle auf einer noch nicht städtischen, dem Jagen und Sammeln verhafteten Zivilisationsstufe. Die Siedlungen selbst trugen seltsame Namen wie Hew-Uzef, Wug, Xutt-Kah, Wetuf-Wetuw und – am allereindrucksvollsten – Naidub-Uiz-Schusa. Königin Lae spürte, wie die Schwierigkeit, sich solche Namen merken und sie auch noch richtig aussprechen zu können, die Orientierung in diesem Land beinahe unmöglich machte. Das Land selbst nannten seine Bewohner im Übrigen Koll-Turuin, was so viel bedeutete wie Mittelpunkt .
Da Lae nicht wusste, welche Ausmaße Koll-Turuin besaß, hatte sie auch keine Anhaltspunkte, wie lange die Reise zum König dauern mochte. Am zweiten Tag ihres Rittes jedoch machte Jmuan die aufmunternde Bemerkung, dass es nicht mehr weit sei.
Die Landschaft wurde zunehmend violett. Der allgegenwärtige Waschküchendunst ging in wattig wirkenden Bodennebel über. Ob es daran lag, was Jmuan ihr über den Nebel erzählt hatte, oder ob sie sich das einbildete – jedenfalls hatte Lae tatsächlich das Gefühl, in dem weißlichen Gewölk schlecht atmen zu können. Sie nahm einen Geruch oder einen Geschmack wahr, der sie unangenehm an männliche Samenflüssigkeit erinnerte.
Dann, am dritten Tag ihres Rittes – deutlich früher, als wenn man versucht hätte, von den Bergen aus Orison-Stadt zu erreichen – gelangten sie zu der Siedlung, die Jmuan als Udazede bezeichnete – Königsnest . Es handelte sich immer noch nicht um eine richtige Stadt. Die Stoßzähne und Echsenschädel schienen hier noch größer, die Mengen an Lehm und Tauwerk, mit denen dasalles zusammengehalten wurde, imposanter, aber es war ebenfalls eine Ansammlung unterschiedlichst geformter Leder- und Fellhütten, die aussahen, als würden sie keinen starken Regenguss überstehen können.
Lae fragte sich, ob es in Coldrin jemals regnete.
Die Bewohner drängten sich neugierig um den angekommenen Trupp, aber von einer besonderen Ehrerbietung konnte nicht die Rede sein. Niemand hatte Blumen gestreut oder Hütten mit Girlanden geschmückt. Niemand stand Spalier oder musizierte. Niemand präsentierte stolz sein Heer und ließ es auf- und abmarschieren, wie das selbst in Orison unter befreundeten Baronaten Brauch war, wenn ein Baron dem anderen einen offiziellen Besuch abstattete.
Vielleicht war Laes Ankunft – mit neun Begleitern zu Fuß und ohne jeglichen Pomp – einfach zu unspektakulär. Sie trug nicht einmal ihre Krone. Die hatte sie bei Lehenna Kresterfell gelassen, damit dieser wertvolle Erbschatz Orisons nicht in die Hände coldrinischer Wilder oder Lösegelderpresser fallen konnte. Vielleicht erkannte König Turer eine orisonische Königin auch einfach nicht an. Vielleicht, weil sie eine Frau war. Jmuans Rekamelkishtruppe jedenfalls bestand ausschließlich aus Männern. Auch in den Ortschaften schienen die Frauen immer eher mit Tragen, Waschen und sonstigen Arbeiten beschäftigt zu sein, während die Männer herumstanden, schwatzten und rauchten. Der Geruch des wabernden Nebels verstärkte noch Laes Empfindung, in eine primitive Männerwelt geraten zu sein.
Die Hütte des Königs war größer als andere Hütten, aber beileibe kein Palast. Lae konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, eher zu einem Dorfhäuptling geführtzu werden als zu dem König eines riesigen Landes. Irgendetwas stimmte hier nicht. Die Legenden, die man sich in Orison von dem unsterblichen Turer erzählte, waren so viel größer als die Siedlung Udazede.
Jmuan ging voran und wies die Königin an, kurz auf ihn zu warten. Anschließend stand sie auf ihre entwürdigenden Krücken gestützt mit ihren neun unterschiedlich uniformierten Leibwächtern vor dem echsenledernen Eingang der Königshütte. Sie hatte sich oft vorgestellt, wie ihr Treffen mit Turer aussehen würde. Eine Stadt aus reinem Gold. Elfenbeinpaläste, von Zierteichen umspielt. Und Turer als Verkörperung von Reichtum, unumschränkter Macht und Ewigkeit.
Nach einer quälend langen Zeit des Wartens führte Jmuan sie dann hinein. »Der König wird dich anhören«, sagte er. »Ich werde übersetzen.«
Ihre Leibgarde durfte Lae mit hineinnehmen. Das Innere der Hütte war mit Fellen, Zähnen, Knochen und gewebtem Wandschmuck ausgekleidet und unterschied sich somit nicht grundlegend von ihrem Äußeren. Es roch nach Gewürzrauch, der in Schwaden den Raum bläulich färbte. Unwillkürlich fragte sich Lae, ob die Coldriner ohne irgendwelche Schwebteilchen in der Luft gar nicht leben
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