Die Daemonen 03 - Am Ende der Zeiten
Danach herrschte Ruhe, die Toten vergossen ihr Innerstes, und das rasende Weib konnte sich wieder der Straße widmen.
Im Zenit des regnenden Gesteins bildete sich Licht.
Wirkliches Licht.
Die Gefangenen jauchzten und drängten sich näher, als wäre ihnen eine Sonne aufgegangen. Echtes Licht erschien ihnen allen wie die Bestätigung eines schon halb in Vergessenheit geratenen Aberglaubens. Die Steuerfrau Zimde hatte alle Hände voll zu tun, den Kreis unter dem sich bildenden Loch freizuhalten.
Mit dem Licht drangen die Geräusche des metallischen Hämmerns noch deutlicher durch. Es klang, als würde jemand die Zerbrochenen Berge abtragen. Die Gefangenen wiegten sich im Takt, ein anbetendes, verzückt lauschendes Publikum.
Dann kam das Blut. Es rann in Fäden herab, tropfte dickflüssig über ausgestreckte Finger und Unterarme. Die Gefangenen leckten sich gegenseitig das frische rote Nass ab. Es hatte einen anderen Geschmack als die Flüssigkeiten hier unten. Es war, als kostete man Freiheit und Bewegung.
Dann brachen massive Gesteinsteile abwärts. Niemand wurde getroffen, die Steuerfrau Zimde hatte dafür Sorge getragen. Durch das Loch flutete mehr Licht, als ein jeder für möglich gehalten hatte. Selbst der Kirrer hörte auf, panisch zu krähen.
Dann sprang eine in Weiß mit roten Sprenkeln gekleidete Frau zu ihnen herab. Sie führte zwei Klingenwaffen mit sich, die in ihrer Schwärze dem einen oder anderen der Gefangenen noch von dem Schlachtfeld her in Erinnerung waren.
Die Frau riss sich die Kleider herunter. Sie war jetzt nackt und deutlich sauberer nackt als die Gefangenen. Sie atmete den brodelnden Gestank und lächelte dabei wild und verzückt. Die Gefangenen dagegen rochen die Frische ihres Leibes. Sie war mit Seife in Berührung gekommen, vor noch gar nicht allzu langer Zeit.
Gilgel sprang auf. »Das ist sie!«, zischte er. »Lasst euch nicht blenden von ihrem Licht und ihrem Lächeln! Das ist sie schon wieder! Sie wird uns alle in den Tod führen!« Er wollte sich zu ihr durchdrängen, kam aber nicht an sie heran, denn alle strömten nun taumelig auf sie zu, um die Befreierin zu berühren, an ihr zu schnuppern, sogar an ihr zu lecken wie an einem köstlichen Nass. Jitenji, Tibe, Bakenala, Voy, Glai und Koaron bildeten im Hintergrund eine Traube, die sich voneinander zu lösen weigerte.
Adain kämpfte gegen ihre Neigungen. Sie wollte hier unten eine Orgie veranstalten, eine gewaltige, sämtliche Grenzen sprengende Entfesselung der Lust, aber sie sah, dass die Objekte ihrer Begierde samt und sonders entkräftet und entstellt waren. Also wollte sie sie alle töten, in ihrem Blut und ihrem Fleisch baden und sich neu schaffen als ein Dämon, geschichtet aus dem hautigen Material so vieler Leiber. Aber etwas hielt sie zurück. Eine Art von Mitgefühl mit diesen kurzlebigen Kreaturen, die sich ihr eigenes Dasein so kunstfertig zur Hölle machten, selbst wenn das leergefegte Land eigentlich groß genug sein sollte, um allen Glaubensrichtungen, allen Fahnen- und Kleidungsfarben und allen Lebenshaltungen gleichermaßen Raum zu lassen. Sie fühlte, dass die wankenden, schmutz- und wundverkrusteten Gestalten, die sie umdrängten und umschwärmten, um sich an ihr zu ergötzen, wie Kinder waren. Kinder, die von einem Dämon zum Licht geführt werden wollten.
Oben herrschte noch immer Stille. Das rasche Blutbad hatte selbst die Stimmen der allgegenwärtigen Denunzianten kurzfristig verstummen lassen.
Adain schaute sich um. Zwei Jahrhunderte lang hatte sie im Dämonenschlund studiert, sie war es gewöhnt, im Dunkeln zu sehen. Sie erblickte eine Tür und wandte sich dorthin. Die Menschen folgten ihr wie ein klebriger Bienenschwarm, der sich an etwas festgeheftet hat.
Durch diese Pforte erschienen normalerweise Nahrung, Wasser, der Vorleser, seine Leibwächter und die Männer mit den Artischockenknüppeln. Jetzt sprengte Adain mithilfe von Die Stimme diese Tür auf. Durch die Gefangenen rollte ein Seufzen, das wie ein kollektiver Atemzug klang. Voy versagten die Beine. Koaron und Bakenala halfen ihr auf. Tibe und Jitenji übernahmen jetzt die Führung über Renechs ehemalige Mannschaft. Die Steuerfrau Zimde koordinierte das Zusammenspiel sämtlicher Mannschaften. Es waren insgesamt achtundvierzig Aztrivavezer, die durch die Tür drängten. Fünf von ihnen mussten getragen oder geschleppt werden. Die beiden Kirrer kamen als Letzte. Eher argwöhnisch schlossen sie sich dem Zug an.
Gilgel kam nicht an Adain
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