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Die Daemonen 03 - Am Ende der Zeiten

Die Daemonen 03 - Am Ende der Zeiten

Titel: Die Daemonen 03 - Am Ende der Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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hatte den Vogel nicht einfach nur zum Spaß geschossen. Er hob ihn auf und trug ihn zu sich nach Hause, zu seinen bescheidenen Eltern.
    Die Zeit verlor sich im allgegenwärtigen Dämmern.
    Niemand wusste mehr, wie viele Wochen sie nun schon in diesem Kerker in ihrem eigenen Unrat vor sich hin säuerten. Es gab zwei weitere Todesfälle. Die Toten waren nicht starr, sondern weich wie nackte Schnecken. Die Menschen erbrachen sich, hatten Durchfall und verendeten. Es gab niemanden mehr ohne juckenden Ausschlag auf der Haut, besonders an den Stellen, an denen Haare wuchsen.
    Die erfahrene Steuerfrau Zimde tat ihr Bestes, um die Stimmung vor dem absoluten Tiefpunkt abzufangen. Die Sehnsucht nach einem allesumfassenden Selbstmord machte die Runde, aber wie sollte man das anstellen? Durch einen Hungerstreik? Aber selbst für die unaufwändigste aller denkbaren Todesarten, die Verweigerung von Nahrungsaufnahme, waren die Gefangenen zu geschwächt, denn dafür benötigte man Willensstärke. Zimde fiel – dem Beispiel der gefallenen Präposita Daegren folgend – nichts anderes mehr ein, als die Menschen zum Singen von Aztrivavezer Liedern zu ermutigen, selbst wenn es sich um Hoffnungslose Balladen handelte. Am häufigsten sang der Chor der Gefangenen mit müden, kaum sich bewegenden Lippen das Lied mit dem Refrain:
     
    der sand ist auch nur gischt
    die jede spur verwischt
    man sagt, er ist aus knochenmehl
    ein glanz, der nie verlischt
    als strandstaub zum verlieben
    so wurde er beschrieben
    das heißt, man kann das lebensziel
    als scheffel sand aufwiegen
     
    Nicht aufgrund seines Textes wurde dieses Lied so beliebt, sondern weil die Melodie so munter war.
    Die Möwe kam bei einer fünfköpfigen Familie auf den Tisch. Der Strandjunge, seine Schwester, sein Bruder, sein Vater, seine Mutter. Es war Mittagszeit. Die Familie freute sich, sprach einen kurzen Segen für den König und machte sich dann heißhungrig über den gerupften Vogel her.
    Adain konnte dieses Mal überhaupt nichts steuern. Nach dem Tod des Vogels hatte sie immer noch das Gefühl gehabt, über die Federspitzen etwas empfinden zu können, zu spüren, dass sie getragen wurde. Aber nun waren auch die Federn zerstreut. Die Mutter zerlegte den Vogel mit einem Messer und einer Gabel, und Adain hatte keinerlei Möglichkeit zu entscheiden, auf wessen Teller sie landen wollte. Die Mutter teilte jedem eine Portion zu, und es war reiner Zufall, dass der Teil der Möwe, in dem Adain hockte, auf dem Teller der Mutter selbst landete. Aber vielleicht gab es tatsächlich so etwas wie ein ordnendes Schicksal: Adain hatte zuletzt wieder Frau werden wollen, nun wurde sie eine. Sie schlüpfte in Magen und Bauch der Mutter und richtete sich dort ein.
    Zuerst beängstigte sie die Weite. Nach dem Wurm, dem Maulwurf und der Möwe war es in der Mutter wieder so geräumig wie im verwaisten Dämonenschlund. Überall gluckerte und blubberte es. Das Gluckern und Blubbern hallte sogar wider. Aber Adain fand sich zurecht. Letzten Endes war die Mutter genauso ein bleiches Tier wie der Wurm, der Maulwurf und die Möwe. Und die Tiere, aus denen ihr Familienverband bestand, waren nicht weniger farblos. Sie kleideten sich sogar fahl. Adain seufzte innerlich, wenn sie an die dunkle Haut des Königs Paner Eleod dachte. Es kam ihr vor, als hätte er alle Farben seiner Untertanen in sich aufgesogen und herrsche nun als lebendiger Kontrast über ein Volk aus Unscheinbaren.
    Sie richtete sich ein, so gut es eben ging.
    Sagte »Ja« und »Danke schön« zu ihrem Mann, der in der Hafenverwaltung tätig war und irgendetwas mit dem Zustand der Anlegestellen zu tun hatte, der im Allgemeinen zufriedenstellend war.
    Sorgte dafür, dass die Kleidung ihrer beiden Kinder immer schön weiß oder meergrün war, egal, wie unnötig die beiden sich am Strand herumgetrieben hatten.
    Adain kochte und backte und hielt mit Korallenschwämmen die Töpfe und die Wohnung sauber.
    Alle Tage bestanden aus demselben matten Licht.
    Bis sie eines Tages beim Einkaufen die Belüftungsritzen des unter ihr liegenden Ketzerkerkers überquerte.
    Sie blieb stehen und schnupperte das gesamte Elend menschlicher Bedürfnisse.
    Erst angewidert, dann begierig.
    In ihrem weichen, mütterlichen Leib begann ein Aufruhr.
    Sie ging nach Hause und betrachtete ihr neues Leben. Die Bescheidenen richteten sich eher karg ein, es gab nur wenig Zierrat in ihren Behausungen, wenig Gegenstände, die keinen praktischen Nutzen hatten.
    Einer dieser

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