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Die Daemonen 03 - Am Ende der Zeiten

Die Daemonen 03 - Am Ende der Zeiten

Titel: Die Daemonen 03 - Am Ende der Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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falsches Zeugnis abzulegen wider meinen Nachbarn, denn meine Zunge und mein Leib sollen verdorren wie die Wüste und salzig branden wie das Meer, sollte ich jemals die Unwahrheit sagen.
    Diese Litanei der Bescheidenheit verschränkte sich auf äußerst unangenehme Weise mit den Bescheidenheitskontrollen . Da besonders die ersten drei Gebote direkte Angriffe auf den Lebenswandel und den Glauben der Aztrivavezer darstellten, löste die Litanei jedes Mal Unruhe und aufstandartige Proteste aus. Der Vorleser und seine Beschützer verließen hastig das Gewölbe. Anschließend wurde eine Bescheidenheitskontrolle durchgeführt und die empörtesten Aufrührer zu Boden geknüppelt. Ein einziges Mal kam es dabei zu so etwas wie einer konzertierten Aktion, als vier Gefangene gleichzeitig einen prügelnden Beschnittenen angriffen, aber Zimde, ihre beiden vertrautesten Steuerfrauen und sogar ihr Schiffsmädchen gingen dazwischen und wurden ebenfalls geschlagen, bis alles sich auf gespenstische Art und Weise wieder beruhigte. Nach diesem Zwischenfall waren zwei weitere Tote zu beklagen, und Gilgel kommentierte das alles lediglich mit den Worten: »Der Dämon ernährt sich noch immer besser als wir.«
    Der Dämon Adain lag unterdessen in seinem Massengrab und wurde gefressen.
    Es war ein lichtloses Gewimmel. Bleiche Erdwürmer machten sich an den Leichnamen zu schaffen, die engumschlungen unter der aufgehäuften Erde lagen. Die Würmer fraßen sich Gänge, arbeiteten sich an Knochen ab, schraubten sich durch Gefäße einwärts und voran.
    Adain, die ein Wiederkehrer war, musste sich darauf konzentrieren, sich nicht zu verteilen. Die Zerstreuung beim Verzehrtwerden war eine große Gefahr: Wenn ihr Bewusstsein sich auf mehrere Würmer gleichzeitig verteilte und diese Würmer sich dann örtlich weit voneinander entfernten und vielleicht sogar getrennte Tode starben, würde es Adain nicht möglich sein, ihr Bewusstsein jemals wieder vollständig zusammenzusetzen. Sie fürchtete diesen Verlust, wie andere Wesen den Tod gefürchtet hätten. Ein Wiederkehrer war nicht unsterblich. Wenn man ihn zu Asche verbrannte, war er vernichtet. Wenn er starb und in einem Raum eingeschlossen wurde, in dem kein anderes Lebewesen ihn erreichen und sich an ihm sättigen konnte, blieb er auf ewig in seinem Leichnam eingesperrt. Wenn er sich im Zentrum einer Weiß-Sagung befand und einfach nichts mehr von ihm übrig blieb, war er für alle Zeiten ausgelöscht. Wenn er aber verteilt wurde, in Würmern, in Fliegen oder in Larven, war dies am schlimmsten von allem. Der Wiederkehrer würde dann als mehrere unvollständige Zerrbilder seiner selbst wiederkehren, die alle vergesslich waren, halbbewusst und eingeschränkt.
    Adain fragte sich, ob das mit den Dämonen Orisons geschehen war.
    Ob sie alle etwas ungerichtet Wiederkehrerisches in sich hatten, das bei der großen Weiß-Sagung zerstreut wurde, sodass sie jetzt nur noch als stumme, wenngleich ins Riesenhafte verzerrte Abbilder ihrer selbst durch die endlose Wüste wanken konnten. Anders als Adain. Sie hatte die Gabe, sich zusammenzuhalten.
    Also rollte sie sich in sich zu einem Ball zusammen, winzig klein, kleiner noch und kleiner, nach innen gekehrt rotierend wie eine Spirale, wie ein Sandkornbruchteil eines Strudelmahlstroms, und ließ sich von einem einzigen Wurm verschlucken, während rings um sie her andere Würmer, gigantisch wirkend wie Meeresungeheuer mit Haimäulern an ihrem verwaisten Fleisch rüttelten und sie in alle denkbaren Richtungen – auch nach oben und nach unten – auseinanderzerrten. Sie blieb gesammelt in einem einzigen Wesen, das wie eine Röhre war, aber biegsam und geschmeidig, ein einziger, fast blinder Fress- und Vervielfältigungstrieb. Wieder wurde sie hier mit der absoluten Unannehmlichkeit, der Vermehrfachung, konfrontiert, aber so weit kam es gar nicht.
    Der bleiche Wurm bahnte sich einen Weg durch das Erdreich, satt und dennoch wieder hungrig, er wühlte und fraß sich durch Festes voran, verflüssigte alles, schob es durch sich hindurch und schied es hinten wieder aus. Sein Dasein war in jedem einzelnen Moment mit jedem anderen Moment identisch. Und plötzlich packte ihn ein Aschenmaulwurf, presste ihn aus und saugte Adain in sich hinein. Der Maulwurf war nicht weniger blind als der Wurm und genauso fahl. Alle Wesen, welche die winterliche Wüste geprägt hatte, waren ihrer Farben verlustig gegangen, mit Ausnahme des großen roten Hundes, an den Adain denken musste,

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