Die Dämonen ruhen nicht
Vielleicht Jean-Paul«, schreibt er an seinen toten Anwalt.
Tap, tap, tap, tap, tap, tap, tap...
»Hey, Haarmonster, ich hab das Radio an«, brüllt Biest. »Ach, jammerschade, dass du es nicht hören kannst. Weißt du was? Die reden wieder von deinem Anwalt. Eine neue, winzig kleine Nachrichtenmeldung. Er hat nämlich einen Brief hinterlassen. Darin steht, es hat ihn umgebracht, dich als Mandanten zu haben. Verstehst du?«
»Maul halten, Biest!«
»Kümmer dich um deinen eigenen Kram, Biest!«
»Deine Witze sind zum Kotzen, Mann!«
»Ich will eine rauchen. Warum lassen die Arschlöcher mich nicht rauchen?«
»Schlecht für die Gesundheit, Mann.«
»Rauchen kann tödlich sein, du Idiot. Steht doch auf der Packung.«
75
Die Atkins-Diät schlägt bei Lucy wunderbar an, weil sie Süßigkeiten noch nie mochte und auch auf Nudeln und Brot gut verzichten kann. Ihre gefährlichsten Laster sind Bier und Wein, doch sie beschließt, sich beides zu verkneifen, als sie Jaime Berger in deren Penthousewohnung am Central Park West besucht.
»Ich werde dich nicht zwingen, etwas zu trinken«, meint Berger und stellt die Flasche Pinot Grigio wieder ins oberste Regal des Kühlschranks. Ihre Küche ist wunderschön und mit Schränken aus wurmstichigem Kastanienholz und Arbeitsflächen aus Granit ausgestattet. »Ich sollte wohl besser auch die Finger davon lassen. Mein Gedächtnis ist inzwischen nämlich nicht mehr das beste.«
»Ich würde mich wohler fühlen, wenn du ab und zu auch mal was vergessen könntest«, erwidert Lucy. »Für mich wäre diese Fähigkeit ebenso von Vorteil.«
Ihr letzter Besuch in Bergers Penthouse ist mindestens drei Monate her. Bergers Mann war betrunken, und er und Lucy sind sich in die Haare geraten, bis Jaime Berger sie aufgefordert hat zu gehen.
»Schon vergessen«, sagt Berger schmunzelnd.
»Er ist doch nicht hier, oder?«, fragt Lucy sicherheitshalber. »Du hast mir versprochen, dass es okay ist, wenn ich herkomme.«
»Würde ich dich je belügen?«
»Tja...«, witzelt Lucy.
Ihrem heiteren Geplänkel ist nicht anzumerken, dass es sich um einen ernsten Zwischenfall gehandelt hat. Niemals hat Berger bei einer Abendeinladung unter zivilisierten Menschen eine derartige Szene erlebt. Sie hat sich wirklich Sorgen gemacht, dass Lucy und ihr Mann handgreiflich werden könnten. Lucy hätte nämlich gewonnen.»Er hasst mich«, meint Lucy und zieht ein gefaltetes Papierbündel aus der Gesäßtasche ihrer abgeschnittenen Jeans.
Ohne zu antworten, gießt Berger Mineralwasser in zwei große Biergläser und holt eine Schale mit frisch geschnittenen Limettenscheiben aus dem Kühlschrank. Selbst wenn sie wie jetzt Freizeitkleidung, also einen kuscheligen weißen Jogginganzug und Socken, trägt, wirkt sie alles andere als leger.
Lucy wird unruhig und steckt die Papiere wieder ein. »Glaubst du, wir werden je wieder locker miteinander umgehen können, Jaime? Es ist anders geworden, seit...«
Berger verdient als Staatsanwältin einen Hungerlohn. Ihr Mann ist Immobilienhai und in Lucys Augen knapp eine Stufe höher angesiedelt als Rocco Caggiano.
»Mal ernsthaft. Wann kommt er nach Hause? Denn wenn er bald zurück ist, gehe ich«, sagt Lucy und blickt sie eindringlich an.
»Wenn er bald nach Hause käme, wärst du heute nicht hier. Er hat eine Besprechung in Scottsdale, Arizona. In der Wüste.«
»Bei den Reptilien und Kakteen, wo er hingehört.«
»Lass das, Lucy«, protestiert Berger. »Meine miserable Ehe hat nichts mit all den Fieslingen zu tun, die deine Mutter während deiner Kindheit dir vorgezogen hat. Das haben wir schon mal durchgekaut.«
»Ich kapiere nur nicht, warum ...«
»Bitte, hör auf damit. Das ist Vergangenheit.« Seufzend stellt Berger die Pellegrinoflasche zurück in den Kühlschrank. »Wie oft muss ich es dir noch sagen?«
»Dann lassen wir die Vergangenheit meinetwegen ruhen und beschäftigen uns jetzt mit den wichtigen Dingen.«
»Ich habe nie behauptet, dass es nicht wichtig wäre.« Berger bringt die Getränke ins Wohnzimmer. »Komm schon. Jetzt bist du hier, und ich freue mich darüber. Also machen wir es uns schön, einverstanden?«
Das Zimmer hat Aussicht auf den Hudson, eine Seite des
Gebäudes, die als weniger attraktiv gilt als die Vorderfront, von der aus man den Park bewundern kann. Aber Berger liebt das Wasser und beobachtet gern die Kreuzfahrtschiffe, die dort anlegen. Wenn es ihr auf Bäume ankäme, hat sie Lucy oft gesagt, würde sie nicht in New York
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