Die Dämonen ruhen nicht
wenn sie mit den Bierkästen zurückkommt, ist sie immer wieder erstaunt, wie viel mehr er trinkt. Bis vor kurzem hat sie ihn nie betrunken erlebt. Wenn er betrunken ist, weist er ihre Annäherungsversuche nicht zurück, und sie wischt ihn mit einem feuchten Handtuch ab, bevor er in Bewusstlosigkeit versinkt. Am nächsten Morgen kann er sich nicht erinnern, was sie getan und wie sie ihre Gelüste auf kreative Weise befriedigt hat, da er zu nichts mehr in der Lage war und sich im nüchternen Zustand ohnehin gesträubt hätte.
Sie sieht zu, wie er am Radio herumnestelt und in dem Rauschen nach einem Nachrichtensender sucht. Bald wird er wieder betrunken sein. Seit sie ihn kennt, hat er kein Gramm Fett am Leib gehabt. Sein vollkommen geformter Körper hat in ihr stets Neid und Minderwertigkeitsgefühle ausgelöst. Aber nicht mehr lange. Das ist unvermeidlich. Er wird einen Bauch kriegen; sein Stolz wird in Fettpolstern und schwabbeligen Wülsten ersticken, ganz gleich, wie viele Liegestützen und Rumpfbeugen und Bauchmuskelübungen er auch macht. Vielleicht wird sein ebenmäßiges Gesicht dann auch nicht mehr so gut aussehen. Wäre das nicht ein Spaß, wenn er so hässlich werden würde - so hässlich, wie er sie offenbar findet dass sie ihn nicht mehr begehrt?
Wie ging die Geschichte aus der Bibel noch einmal? Samson, der mächtige, schöne Samson, ließ sich von einer gewissen Soundso verführen, und sie schnitt ihm sein Haar ab, das magische Kräfte besaß. So verlor er seine ganze Macht.
»Du blödes Stück!«, brüllt Jay. »Warum stehst du noch hier rum und glotzt? Mein Bruder ist unterwegs hierher, wenn er nicht schon da ist. Er wird wissen, wo ich bin. Das tut er immer.«
»Ich habe gehört, dass Zwillinge die Gedanken des anderen lesen können.« Das Wort Zwilling ist ein absichtlicher Seitenhieb. »Er wird dir nichts tun. Er wird mir nichts tun. Du vergisst, dass ich ihn kenne. Ich glaube, er mag mich sogar, weil ich ihm sein Aussehen nicht Vorhalte.«
»Er mag niemanden.« Jay gibt es auf, dem Radio etwas zu entlocken, und schaltet es ärgerlich aus. »Du lebst nicht in der Wirklichkeit. Ich muss ihn finden, bevor er eine Dummheit macht, indem er sich zum Beispiel eine Frau schnappt, sie umlegt, seine gottverdammten Bissspuren auf ihr hinterlässt und ihr den Schädel einschlägt.«
»Hast du ihn je dabei beobachtet?«, fragt sie beiläufig.
»Mach das Boot fertig, Bev.«
Sie kann sich nicht erinnern, wann er zuletzt ihren Namen ausgesprochen hat, und es geht ihr herunter wie Butter.
Doch er verdirbt alles, indem er hinzufügt: »Das mit dem
Arm ist deine Schuld, verdammt. Es wäre nicht passiert, wenn du mir ein paar Welpen mitgebracht hättest.«
Seit sie von ihrer Besorgungsfahrt zum Festland zurück ist, beschwert er sich ununterbrochen, weil sie keinen Köder für die Alligatoren besorgt hat. Für ihr Mitbringsel ist er ihr kein bisschen dankbar.
Sie starrt auf die leere Matratze an der Wand.
»Du hast jede Menge Köder«, hat sie ihm letztens gesagt. »Mehr, als du mittlerweile gebrauchen kannst.«
Sie hat ihn überzeugt, dass es genauso gut, vielleicht sogar besser klappen würde, einen Alligatorhaken mit Menschenfleisch zu bestücken. Dann würde Jay sich mit einem Reptil amüsieren können, das größer ist als er. Er könnte zuschauen, wie es um sich schlägt, bis ihn die Sache langweilen und er es in den Kopf schießen würde. Da er auf der Flucht vor dem Gesetz ist, behält er seine Jagdbeute nie. Er schneidet das Nylonseil durch und lässt das tote Reptil ins Wasser gleiten. Dann fährt er zur Hütte zurück.
Diesmal jedoch hat es nicht so funktioniert. Er kann sich nur noch dunkel daran erinnern, wie er den Köder am Haken befestigt und diesen am dicken Ast einer Zypresse angebunden hat. In diesem Moment hörte er ganz in der Nähe ein anderes Boot, vermutlich auch jemand, der Alligatoren oder Frösche jagte. Jay hat sich sofort aus dem Staub gemacht; der Haken mit dem Köder baumelte noch an dem gelben Nylonseil. Er hätte es durchschneiden sollen. Er hat einen schweren Fehler gemacht. Aber das will er nicht zugeben. Bev hat den Verdacht, dass da draußen gar kein anderer Jäger war. Jay, glaubt sie, hat sich das nur eingebildet und den Kopf verloren. Denn sonst wäre ihm vielleicht eingefallen, dass der Köder im Maul des gefangenen Alligators oder beim Ausweiden in dessen Gedärmen gefunden worden wäre, hätte ein anderer Jäger das Reptil entdeckt.
»Tu, was ich dir sage,
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