Die Dämonen ruhen nicht
sein.«
»Themawechsel, falls du in letzter Zeit keine Nachrichten gehört hast: In einem der Flussläufe dort hat man einen Frauenarm gefunden«, verkündet Marino. »Man führt gerade eine DNS-Analyse durch. Möglicherweise handelt es sich um die letzte Vermisste, Katherine Bruce. Wenn ja, ist der Täter offenbar am Durchdrehen. Der Arm wurde in einem Flusslauf des Blind River entdeckt, der in den Lake Maurepas mündet. Der Kerl muss sich hier in den Bayous gut auskennen. Es heißt, dieser Flusslauf sei nicht leicht zugänglich. Man muss also wissen, wo er ist, und es verirrt sich deshalb kaum jemand dorthin. Der Täter hat den Arm als Alligatoren-Köder benutzt und ihn mit einem Haken an einem Seil befestigt.«
»Vielleicht wollte er ihn nur wegen des Schockeffekts ausstellen.«
»Das glaube ich nicht«, erwidert Marino.
»Ganz gleich, was seine Absicht war, du hast Recht: Er steigert seine Methoden.«
»Vermutlich sieht er sich schon nach dem nächsten Opfer um, während wir uns hier unterhalten«, meint er.
»Ich bin unterwegs nach Baton Rouge«, sagt Scarpetta.
»Ja, das habe ich mir gedacht.« Marinos Stimme ist wegen des dröhnenden V-8-Motors kaum zu hören. »Und das alles, um bei den Ermittlungen wegen einer Drogentoten von vor acht Jahren zu helfen.«
»Es geht bestimmt um mehr als nur eine Uberdosis, Marino, und das weißt du ganz genau.«
»Egal, was dahinter steckt, du bist dort nicht sicher. Und deshalb fahre ich auch hin. Ich sitze schon seit Mitternacht im Auto und muss alle paar Minuten anhalten, um mir einen Kaffee zu besorgen. Und kurz darauf halte ich wieder an, weil ich aufs Klo muss.«
Widerstrebend erzählt Scarpetta ihm von Roccos Verbindung zum Fall Charlotte Dard, nämlich dass er der Verteidiger des Apothekers war, der der Tat verdächtigt wurde.
Offenbar hat Marino ihr nicht richtig zugehört.
»Ich habe noch etwa zehn Stunden Fahrt vor mir. Und irgendwann muss ich auch mal schlafen. Das heißt, wir sehen uns wahrscheinlich erst morgen«, erklärt er.
102
Jay erfährt von der Flucht seines Mutantenbruders aus dem Radio.
Er weiß nicht genau, was er davon halten soll, als er schwitzend in der Fischerhütte sitzt. Sein Schädel dröhnt, und seine Schönheit ist nicht mehr ganz das, was sie vor einer Woche noch war. Wie an allem anderen gibt er Bev die Schuld daran. Je öfter sie zum Festland fährt, desto häufiger werden die Biervorräte nachgefüllt. Früher ist Jay wochenlang oder sogar einen Monat ohne Bier ausgekommen. In letzter Zeit ist der Kühlschrank nie mehr leer.
Dem Alkohol zu widerstehen, war schon immer eine Herausforderung für ihn, seit er als Junge in Frankreich Bekanntschaft mit gutem Wein gemacht hat. Weine für die Götter, wie sein Vater es auszudrücken pflegte. Als freier Mann, der über sein Leben ganz und gar selbst bestimmen konnte, hat Jay in Maßen getrunken, verkostet und genossen. Inzwischen jedoch ist er von billigem Bier abhängig. Seit Bevs letzter Einkaufsexpedition hat er einen Kasten pro Tag getrunken.
»Ich glaube, ich muss bald wieder los, um was zu besorgen«, meint Bev und starrt auf seinen hüpfenden Adamsapfel, als er eine Dose ansetzt und austrinkt.»Ja, mach das.« Bier läuft ihm die nackte Brust hinunter.
»Wie du willst.«
»Scheiß drauf. Es geht doch nur noch darum, was du willst.« Mit drohender Miene kommt er näher. »Ich gehe vor die Hunde«, schreit er, während er die Bierdose zerdrückt und durch den Raum wirft. »Und das ist nur deine beschissene Schuld! Wenn man mit einer dummen Kuh wie dir hier eingesperrt ist, kann man ja nicht anders, als sich blöd zu saufen.«
Er nimmt noch ein Bier aus dem Kühlschrank und stößt die Tür mit dem nackten Fuß zu. Bev rührt sich nicht und unterdrückt das Lächeln, das sie in sich spürt. Nichts verschafft ihr mehr Genugtuung, als wenn Jay die Beherrschung verliert, nicht mehr durchblickt und selbstzerstörerisches Verhalten an den Tag legt. Wenigstens hat sie inzwischen einen Weg gefunden, ihn zurückzuerobern. Da sein Bruder, das Ungeheuer, nun auf freiem Fuß ist, wird sich Jays Zustand verschlimmern. Er wird etwas unternehmen, weshalb sie auf der Hut sein muss. Die beste Verteidigung ist, wenn sie dafür sorgt, dass er ständig betrunken ist. Sie weiß nicht, warum ihr dieser Gedanke erst jetzt kommt. Doch als sie nur alle vier bis sechs Wochen zum Festland gefahren ist, war das Bier knapp.
Plötzlich begann er dann, sie ein oder zwei Mal im Monat loszuschicken, und
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