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Die Dämonen ruhen nicht

Die Dämonen ruhen nicht

Titel: Die Dämonen ruhen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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verdammt. Mach das Boot fertig«, befiehlt er. »Damit ich mich um ihn kümmern kann.«
    »Und wie willst du das anstellen?«, fragt Bev ruhig. Sein wahnwitziges Verhalten löst in ihr Freude und Zufriedenheit aus.
    »Ich habe dir doch schon gesagt, dass er mich finden wird«, erwidert Jay, und sein Schädel beginnt zu pochen. »Er kann ohne mich nicht leben. Ohne mich kann er nicht einmal sterben.«

103
    Am späten Nachmittag sitzt Scarpetta in der fünfzehnten Reihe eines Flugzeugs und hat Beinkrämpfe.
    Links von ihr zieht ein kleiner Junge, blond, niedlich und mit Zahnspange, schicksalsergeben Yu-Gi-Oh!-Karten aus einem Stapel auf seinem Klapptisch. Rechts am Fenster kippt ein dicker Mann, schätzungsweise Mitte fünfzig, Screwdriver in sich hinein. Ständig schiebt er seine Brille hoch, deren überdimensionales Metallgestell Scarpetta an Elvis erinnert. Der dicke Mann blättert lautstark im Wall Street Journal und schaut immer wieder zu Scarpetta hinüber, offenbar in der Hoffnung, sie in ein Gespräch verwickeln zu können. Sie zeigt ihm die kalte Schulter.
    Der Junge zieht noch eine Yu-Gi-Oh!-Karte und legt sie, das Bild nach oben, auf den Tisch.
    »Wer gewinnt?«, erkundigt Scarpetta sich schmunzelnd.
    »Ich habe niemanden für ein Duell«, erwidert der Junge, ohne aufzublicken.
    Er ist etwa zehn Jahre alt und trägt Jeans, ein ausgewaschenes Spider-Man-T-Shirt und Turnschuhe. »Man muss mindestens vierzig Karten haben, um spielen zu können«, fügt er hinzu.
    »Ich fürchte, dann bin ich disqualifiziert.«
    Er greift nach einer bunten Karte mit einer bedrohlichen
    Axt darauf. »Sehen Sie«, sagt er. »Die mag ich am liebsten. Die Axt der Verzweiflung. Das ist eine gute Waffe für ein Monster, und sie ist tausend Punkte wert.« Er nimmt eine andere, die Axe Raider heißt. »Ein sehr starkes Monster, wenn es diese Axt hat«, erklärt er.
    Scarpetta betrachtet die Karten und schüttelt den Kopf. »Tut mir Leid, das ist mir zu kompliziert.«
    »Möchten Sie das Spiel lernen?«
    »Das würde ich nie schaffen«, entgegnet sie. »Wie heißt du denn?«
    »Albert.« Er zieht weitere Karten aus dem Stapel. »Aber nicht Al«, teilt er ihr mit. »Alle glauben, sie könnten mich Al nennen. Doch ich heiße Albert.«
    »Schön, dich kennen zu lernen, Albert.« Sie verrät ihm ihren Namen nicht.
    Scarpettas Sitznachbar am Fenster dreht sich zu ihr um, Sodas seine Schulter gegen ihren Oberarm drückt. »Sie klingen nicht, als kämen Sie aus Louisiana«, meint er.
    »Stimmt«, erwidert sie und rückt von ihm weg. Ihre Nasennebenhöhlen werden vom übermächtigen Duft eines Rasierwassers überschwemmt. Offenbar hat er sich damit überschüttet, als er sie vorhin von ihrem Sitz hochgejagt hat, um zur Toilette zu gehen.
    »Sagen Sie nichts. Ein oder zwei Wörter genügen mir.« Er nippt an seinem Wodka mit Orangensaft. »Lassen Sie mich raten. Aus Texas sind Sie auch nicht. Wie eine Mexikanerin sehen Sie nämlich nicht aus.« Er grinst.
    Sie liest weiter in einem Artikel über Molekularbiologie im Science Magazine und fragt sich, wann der Mann den Wink mit dem Zaunpfahl endlich verstehen und sie in Ruhe lassen wird.
    Scarpetta ist kein Mensch, der sich gern mit Fremden abgibt. Tut sie es doch, fragen die meisten nämlich innerhalb der ersten beiden Minuten, wohin sie will und warum, um im nächsten Moment in den gesperrten Luftraum ihres Berufes einzudringen. Ihre Antwort, sie sei Ärztin, bereitet dem Verhör zumeist kein Ende, ebenso wenig, wenn sie sagt, dass sie Anwältin sei. Und wenn sie preisgibt, dass sie beides studiert hat, sind die Folgen nicht abzusehen. Falls sie dann auch noch erklärt, dass sie als Gerichtsmedizinerin arbeitet, ist es mit dem ungestörten Flug für gewöhnlich vorbei.
    Als Nächstes kommen dann bestimmt Jon Benet Ramsey O. J. Simpson und weitere geheimnisvolle Fälle und Justizirrtümer aufs Tapet, während Scarpetta, auf zehntausend Metern Höhe an ihrem Platz festgeschnallt, in der Falle sitzt. Ebenso anstrengend sind Fremde, die sich überhaupt nicht dafür interessieren, ob sie berufstätig ist, und sie lieber später zum Abendessen oder noch besser auf einen Drink in einer Hotelbar treffen möchten, von wo aus es nicht weit zu ihrem Zimmer ist. Kerle wie der beschwipste Dicke neben ihr haben ganz offensichtlich mehr Interesse an ihrem Körper als an ihrem Lebenslauf.
    »Der Artikel, den Sie da lesen, scheint ja mächtig kompliziert zu sein«, sagt er. »Ich tippe, Sie sind bestimmt

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