Die Dämonen ruhen nicht
zu versetzen.
»Wie oft muss ich Sie noch fragen, warum ich hier bin und wie es Ihnen gelungen ist, mich herzulocken?« Scarpettas Augen lodern.
»Ich finde es reizend, dass Albert Sie zu seiner Freundin erkoren hat«, erwidert Mrs. Guidon. »Ich gebe mir große Mühe, ihn zu ermuntern. Aber er hat kein Interesse am Schulsport oder anderen Aktivitäten, die ihn mit Gleichaltrigen zusammenbringen würden. Er glaubt, dass er hierher an diesen Tisch gehört« - sie klopft mit kleinen, milchweißen Knöcheln auf den Metzgerblock - »und mit Ihnen und mir sprechen kann wie ein Gleichgestellter.«
Durch ihre jahrelange Erfahrung mit Menschen, die sich weigern, Fragen zu beantworten, es nicht können oder die Realität leugnen, hat Scarpetta die Fähigkeit erworben, die Wahrheit zwischen den Zeilen herauszuhören. »Warum will er nicht mit Gleichaltrigen zusammen sein?«, erkundigt sie sich.
»Wer weiß? Es ist ein Geheimnis. Er war eigentlich schon immer seltsam und bleibt lieber zu Hause, um Schulaufgaben zu machen oder sich mit diesen merkwürdigen Kartenspielen zu beschäftigen, die die Kinder heutzutage spielen. Karten mit ekelhaften Geschöpfen darauf. Karten und Computer, Karten und noch mehr Karten.« Ihre Gesten sind theatralisch. Sie hat einen starken französischen Akzent, ihr Englisch klingt steif, und manchmal fehlen ihr die richtigen Worte. »Je älter er wird, desto mehr verhält er sich so. Er isoliert sich und beschäftigt sich mit Kartenspielen. Wenn er zu Hause ist, ist er oft in seinem Zimmer, schließt die Tür und will nicht herauskommen.« Plötzlich wirkt sie weicher und fast fürsorglich.
Jede Einzelheit, die Scarpetta wahrnimmt, empfindet sie als widersprüchlich und verstörend. In der Küche stehen verschiedene Epochen miteinander in Widerstreit, was eigentlichfür das gesamte Haus und seine Bewohner gilt. Hinter ihr befindet sich ein gewaltiger Kamin mit stabilen, handgeschmiedeten Gerätschaften. Er bietet genug Platz für eine Ladung Holz, mit der man einen dreimal so großen Raum beheizen könnte. Neben einer Tür, die nach draußen führt, befinden sich das komplizierte Tastenfeld einer Alarmanlage und eine Gegensprechanlage mit einem Bildschirm für die Kameras, die zweifellos jeden Eingang überwachen. Ein weiteres, um einiges größeres Tastenfeld weist darauf hin, dass es sich bei der alten Villa um ein intelligentes Haus mit verschiedenen Modems handelt, die es den Bewohnern ermöglichen, Heizung, Klimaanlage, Lichter, Heimkino und Stereoanlage sowie Gaskamine per Fernbedienung zu regulieren und sogar ein- und auszuschalten. Dennoch sind die Geräte und Thermostate, soweit Scarpetta es beurteilen kann, seit schätzungsweise dreißig Jahren nicht mehr erneuert worden.
Der Messerblock auf der Arbeitsplatte aus Granit ist leer. Auch im Porzellanbecken liegen keine Messer, und es ist nirgendwo ein Schneidewerkzeug in Sicht. Dennoch hängt über dem Kamin eine Halterung mit Schwertern aus dem neunzehnten Jahrhundert. Und auf dem Kaminsims aus schwerem Kastanienholz liegt ein Revolver mit Gummigriff, aller Wahrscheinlichkeit nach ein .38er, in einem schwarzen Lederhalfter.
Mrs. Guidon folgt Scarpettas Blicken, und kurz zeigt sich Ärger auf ihrem Gesicht. Ihr ist eine Nachlässigkeit unterlaufen, ein viel sagender Fehler. Gewiss war es keine Absicht, den Revolver offen liegen zu lassen. »Bestimmt ist es Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass Mr. Dard großen Wert auf Sicherheit legt.« Seufzend zuckt sie die Achseln, als hätte sie die Besucherin ins Vertrauen gezogen und angedeutet, Mr. Dard sei übertrieben vorsichtig und litte an Verfolgungswahn. »In Baton Rouge ist die Verbrechensrate hoch. Das haben Sie sicher auch schon gehört. Wenn man in einem solchen Haus lebt und wohlhabend ist, hat man Grund, sich Sorgen zu machen, obwohl ich nicht zu den Leuten gehöre, die ständig über die Schulter schauen.«
Scarpetta lässt sich nicht anmerken, wie unsympathisch sie Mrs. Guidon findet und wie wütend sie ist, weil Albert ein solches Leben führen muss. Sie fragt sich, wie weit sie gehen kann, um die Geheimnisse, die sich um dieses alte Anwesen ranken, ans Tageslicht zu bringen.
»Albert scheint sehr unglücklich zu sein, und er vermisst seinen Hund«, sagt sie. »Vielleicht sollten Sie ihm einen anderen besorgen, insbesondere deshalb, weil er einsam ist und keine Freunde hat.«
»Ich glaube, bei ihm ist das genetisch. Seine Mutter - meine Schwester - war nicht ganz richtig im
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