Die Dämonen ruhen nicht
reibt sich die wunden Knöchel und Handgelenke und versucht, wieder zu Atem zu kommen. Sie erinnert Bev an eine Cheerleaderin, eine dieser sportlichen Blondinen, die so hübsch und sauber aussehen. Sie trägt eine kleine Hornbrille, mit der sie einen intelligenten Eindruck macht, und sie hat auch das richtige Alter: Ende dreißig, vielleicht vierzig. Bev hat sie schließlich auf dem Parkplatz des Wal-Marts am Unigelände aufgegriffen, nachdem sich keine Gelegenheit mehr ergab, das Lämmchen im grünen Ford Explorer zu schnappen.
»Warst du auf dem College?«, fragt Bev.
»Ja.«
»Gut. Das ist wirklich sehr gut.« Eine Weile versinkt sie in Gedanken, und ein schlaffer Ausdruck malt sich auf ihrem fleischigen, wettergegerbten Gesicht.
»Bitte, bringen Sie mich zurück. Wir haben Geld. Wir zahlen Ihnen, was Sie verlangen.«
Bevs Blick wird wieder tückisch. Jay ist klug und hat Geld. Diese Frau ist klug und hat Geld. Sie beugt sich zu ihr vor.
Hinter den Bäumen ist das laute Surren von Moskitos zu hören. Nicht weit entfernt platscht ein Fisch aufs Wasser. Je höher die Sonne steigt, desto heißer wird es, und Bevs Hawaiihemd ist durchgeschwitzt. »Hier geht es nicht um Geld«, sagt sie, als die Frau sie anstarrt; die Hoffnung schwindet aus den hellblauen Augen. »Weißt du nicht, worum es hier geht?«
»Ich habe Ihnen nichts getan. Bitte, lassen Sie mich einfach frei. Dann werde ich es nie jemandem erzählen. Ich werde nichts tun, was Sie in Schwierigkeiten bringt. Wie sollte ich auch? Schließlich kenne ich Sie nicht.«
»Tja, du wirst mich bald kennen lernen, Schätzchen«, entgegnet Bev, legt der Frau eine raue, trockene Hand auf den Hals und streicht mit dem Daumen darüber. »Wir werden einander bald sehr gut kennen lernen.«
Die Frau blinzelt und befeuchtet ihre aufgesprungenen Lippen, als Bevs Hand nach unten wandert, die Grube am Schlüsselbein betastet, weiter abwärts gleitet und alles nach Herzenslust befummelt. Die Frau sitzt stocksteif da und schließt die Augen. Als Bev unter ihre Kleider greift und den Rückenverschluss ihres BHs öffnet, zuckt sie zusammen. Bev fängt an, sie mit Insektenschutzmittel zu besprühen und es in ihre nackte Haut einzumassieren. Sie spürt, dass der wohlgerundete, feste Körper der Frau zittert wie Götterspeise. Bev denkt an Jay und die ausgebleichte Stelle auf dem Boden unter dem Bett und versetzt dem Lamm einen festen Stoß, sodass der Kopf der Frau gegen den Außenbordmotor prallt.
55
An der Ecke 83. Straße und Lexington Avenue hat ein Lieferwagen eine Fußgängerin, eine ältere Frau, überfahren.
Benton Wesley hört, was die Gaffer sich aufgeregt zuraunen; das Blaulicht der Rettungswagen blinkt, und die Polizei sperrt den ganzen Häuserblock mit gelbem Band ab. Der tödliche Unfall hat sich vor einer knappen Stunde ereignet. Benton, der in seinem Leben schon genug Blut gesehen hat, geht rasch vorbei und wendet respektvoll den Blick von der Leiche ab, die eingeklemmt unter einem Hinterrad des Lasters liegt.
Er schnappt die Wörter Gehirn und geköpft auf und dann noch etwas von einem Gebiss, das angeblich auf der Straße herumliegen soll. Wenn es nach dem Willen der meisten Leute ginge, wäre jeder Todesfall ein Spektakel, für das man Eintritt bezahlen muss. Für fünf Dollar pro Karte könnte man dann nach Herzenslust Blut und Gedärme anglotzen. Wenn Benton früher an einem Tatort eintraf, machten die Polizisten ihm Platz, damit er sich mit geschultem Blick jede Einzelheit einprägen konnte. Er war dazu ermächtigt, alle Unbefugten davonzujagen. Und er konnte seinem Ärger nach Belieben Luft machen - manchmal ruhig, manchmal lautstark.
Durch die dunklen Brillengläser mustert er die Umgebung. Sein schlanker Körper schlängelt sich im Zickzackkurs und mit der Geschmeidigkeit eines Luchses durch die Menschenmenge auf dem Gehweg. Eine unbedruckte schwarze Baseballkappe auf dem rasierten Schädel, pirscht er sich zurück zu Lucys Hauptquartier, nachdem er zehn Blocks nördlich von hier, nicht etwa direkt vor dem Gebäude oder auch nur in dessen Nähe, aus dem Taxi gestiegen ist. Vermutlich könnte Benton einfach an Lucy Vorbeigehen und »Verzeihung« sagen, ohne dass sie ihn erkennen würde. Es ist jetzt sechs Jahre her, dass er sie zuletzt getroffen oder mit ihr gesprochen hat, und er will unbedingt wissen, wie sie heute aussieht, wie sie klingt und wie sie sich verhält. Die Ungeduld treibt ihn entschlossenen Schrittes weiter, bis er das moderne
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