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Die Dämonen ruhen nicht

Die Dämonen ruhen nicht

Titel: Die Dämonen ruhen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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er hin und wieder voll daneben gelegen. Und das eine Mal in seiner Karriere, als er seine Intelligenz und Geistesgegenwart am meisten gebraucht hätte, hat er versagt. Dieser Gedanke löst in ihm immer noch Wut aus, ist ihm unangenehm und sorgt dafür, dass er sich Vorwürfe macht.
    Niemanden sonst trifft eine Schuld, sagt er sich in seinen verzweifeltsten Momenten. Nicht einmal die Chandonnes und ihre Befehlsempfänger können etwas dafür. Du hast dir dein Grab selbst geschaufelt, und jetzt sieh zu, wie du da wieder rauskommst.

56
    »Nur Null-acht-fünfzehn-Kopierpapier«, erklärt Wayne Reeve, Pressesprecher der Justizvollzugsanstalt Polunsky, Scarpetta am Telefon.
    »Wir kaufen es palettenweise ein und geben es dann für einen Penny pro Blatt an die Häftlinge weiter. Die Umschläge sind einfache weiße aus dem Billigladen, drei für fünfundzwanzig Cent«, fügt er hinzu. »Darf ich fragen, warum Sie das interessiert?«
    »Recherche.«
    »Oh.« Seine Neugier ist nicht befriedigt.
    »Forensische Papieranalyse. Ich bin Wissenschaftlerin. Was ist, wenn ein Gefangener keine Einkaufserlaubnis hat?«, erkundigt sich Scarpetta, die in ihrem Arbeitszimmer in Delray Beach sitzt.
    Sie war gerade dabei, mit ihrem Koffer aus dem Haus zu eilen, als das Telefon läutete. Rose ging an den Apparat, und Scarpetta hat den Anruf gern entgegengenommen. Jetzt wird sie ihren Flug nach New York verpassen.
    »Er - oder sie - bekommt auf jeden Fall Schreibpapier, Briefumschläge, Briefmarken und so weiter. Diese Vergünstigung wird niemandem entzogen, ganz gleich, was passiert. Ist doch verständlich. Anwälte«, sagt Reeves.
    Scarpetta fragt ihn nicht, ob Jean-Baptiste Chandonne noch im Todestrakt sitzt. Sie erwähnt ebenfalls nicht, dass sie einen Brief von ihm bekommen hat und nicht sicher ist, dass Chandonne sich auch weiterhin hinter Schloss und Riegel befindet.
    Es reicht, du Schwein.
    Wenn du mich unbedingt sehen willst, dann nur zu, du Schwein.
    Und wenn du mit mir reden willst, meinetwegen, du Schwein. Falls du abgehauen bist, krieg ich es raus, du Schwein.Und ich komme auch dahinter, ob du diesen Brief selbst geschrieben hast oder nicht, du Schwein.
    Du wirst niemandem mehr wehtun, du Schwein. Ich will deinen Tod, du Schwein.
    »Könnten Sie mir vielleicht Proben von dem Papier aus dem Gefängnisladen schicken?«, fragt sie Reeve.
    »Morgen haben Sie sie«, verspricht er.

57
    Truthahngeier kreisen tief am blauen Himmel. Der Geruch nach Tod und Verwesung lockt sie in den Sumpf jenseits des grauen verwitterten Bootsstegs.
    »Was hast du gemacht? Etwa Fleisch ins Schilf geworfen?«, beklagt Bev sich bei Jay, während sie ein Tau über einen Pfosten wirft. »Du weißt doch, wie ich diese verdammten Geier hasse.«
    Jay lächelt. Seine Aufmerksamkeit gilt dem Lamm, das im Bug des Bootes kauert. Die Frau reibt sich Handgelenke und Knöchel, ihre Kleidung ist teilweise geöffnet und verrutscht. Kurz steht Erleichterung in ihren verängstigten Augen, als ob der attraktive, dunkelhaarige Mann auf dem Steg unmöglich böse sein könnte. Jay trägt nichts außer fadenscheinigen, abgeschnittenen Jeans, und die Muskeln seines wohl geformten, gebräunten Körpers spielen bei jeder Bewegung. Geschmeidig springt er ins Boot.
    »Geh rein«, befiehlt er Bev. »Hallo«, sagt er dann zu der Frau. »Ich bin Jay. Du brauchst keine Angst mehr zu haben.«
    Sie starrt ihn aus weit aufgerissenen, glasigen Augen an, reibt sich weiter die Handgelenke und befeuchtet ihre Lippen.
    »Wo bin ich?«, fragt sie. »Ich verstehe nicht...«
    Jay streckt die Hand aus, um ihr aufzuhelfen. Als ihr die Beine nachgeben, packt er sie um die Taille.
    »So, jetzt klappt es. Wir sind noch ein bisschen steif, was?« Er berührt die mit getrocknetem Blut verkrusteten Haarbüschel an ihrem Hinterkopf, und Empörung zeigt sich in seinem Blick. »Sie hätte dir nicht wehtun dürfen. Du bist ja verletzt. Okay, einen Moment. Ich werde dich einfach tragen.« Er hebt sie hoch, als wäre sie schwerelos. »Leg die Arme um meinen Hals. Sehr gut.« Er setzt sie auf dem Bootssteg ab und klettert ebenfalls hinaus. Nachdem er ihr wieder aufgeholfen hat, hebt er sie hoch und trägt sie in die Hütte.
    Bev sitzt auf dem schmalen, muffig riechenden Bett. Es hat keine Decken, nur ein zerknittertes weißes Spannbetttuch und ein fleckiges Kissen, das die Form verloren hat und beinahe flach ist. Bevs Augen folgen Jay, als dieser die Frau auf den Boden stellt und sie an der Taille festhält,

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