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Die Dämonen ruhen nicht

Die Dämonen ruhen nicht

Titel: Die Dämonen ruhen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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sich nicht gerührt, steht mitten in dem kleinen Zimmer und starrt ihn an wie eine zum Zubeißen bereite Mokassinschlange. Das Handtuch landet zu ihren Füßen, aber sie hebt es nicht auf.
    Er befiehlt es ihr.
    Bev gehorcht nicht.
    »Heb es auf und wasch es im Spülbecken aus«, sagt er. »Ich will das Ding nicht mehr am Boden liegen sehen. Du hättest ihr nicht wehtun dürfen. Wasch das Handtuch aus, und wisch ihr das Insektenschutzmittel ab.«
    »Sie braucht es mir nicht abzuwischen«, fleht die Frau. »Vielleicht sollte ich es besser dranlassen, wegen der vielen Mücken.«
    »Nein. Es muss runter«, widerspricht Jay, beugt sich vorund riecht an ihrem Hals. »Du hast viel zu viel drauf. Es ist giftig. Offenbar hat sie dir die ganze Flasche übergeschüttet. Das ist gar nicht gut.«
    »Ich möchte nicht, dass sie mich noch mal anfasst!«
    »Hat sie dir wehgetan?«
    Das Lamm schweigt.
    »Ich bin ja da. Sie kann dir nichts tun.«
    Während Jay sich von der Bettkante erhebt, sammelt Bev das nasse, blutige Handtuch auf.
    »Wir sollten kein Wasser verschwenden«, sagt sie. »Es ist kaum noch was im Tank.«
    »Irgendwann wird es schon regnen«, erwidert Jay und mustert die Frau, als wäre sie ein Auto, das er vielleicht kaufen wird. »Im Tank ist noch genug. Wasch das Handtuch aus, und bring es her.«
    »Bitte, tun Sie mir nichts.«
    Die Frau hebt den Kopf vom Kissen. Es ist rosa und feucht, und ein grellroter Fleck weist darauf hin, dass die Wunde wieder zu bluten angefangen hat.
    »Bringen Sie mich einfach nach Hause. Dann erzähle ich es niemandem. Keiner Menschenseele, ich schwöre bei Gott.« Flehend sieht sie Jay an, ihre einzige Hoffnung, weil er so gut aussieht und bis jetzt nett zu ihr war.
    »Was willst du niemandem erzählen?«, fragt Jay, kommt näher und setzt sich an den Rand des Eisenbettes mit der stinkenden, durchgelegenen Matratze. »Was gibt es da zu erzählen? Du hast dich verletzt, und wir sind die guten Samariter, die sich um dich kümmern.«
    Sie nickt, und Verwirrung und schließlich Angst zeigen sich auf ihrem Gesicht.
    »Dann machen Sie es schnell. Bitte«, flüstert sie, geschüttelt von Schluchzern und Schluckauf, die ihren Körper erbeben lassen. »Wenn Sie mich nicht freilassen wollen. Machen Sie es schnell.«
    Bev kehrt mit dem Handtuch zurück und reicht es Jay. Wasser tropft aufs Bett und rinnt seinen nackten, muskulösen Arm entlang. Bev fährt ihm mit den Fingern durchs Haar, küsst seinen Nacken und schmiegt sich eng an ihn, während sie der Frau die Bluse öffnet.
    »Ah, kein BH«, sagt er. »Hatte sie keinen an?« Er wendet den Kopf und verlangt mit leiser Stimme, die inzwischen beängstigend klingt, eine Antwort.
    Bevs Hände gleiten seine verschwitzte Brust entlang.
    Die Augen der Frau sind wieder glasig und vor Angst geweitet, wie Bev es vorhin schon im Boot gesehen hat. Sie zittert heftig, und ihre nackten Brüste beben. Ein Speicheltropfen quillt ihr aus dem Mundwinkel. Angewidert steht Jay auf.
    »Zieh ihr die restlichen Sachen aus, und mach sie sauber«, befiehlt er Bev. »Und wenn du sie noch mal anfasst, weißt du ja, was dir blüht.«
    Bev lächelt. Es ist ein gut einstudiertes Theaterstück, das schon ziemlich lange läuft.

60
    Am nächsten Morgen ist Scarpetta immer noch in Florida.
    Als sie zum zweiten Mal versucht hat, das Haus zu verlassen, wurde sie von einem FedEx-Boten abgefangen, der ihr zwei Päckchen brachte, das eine vom Pressebüro der Justizvollzugsanstalt Polunsky und das andere, ein dickes Paket, mit den Unterlagen zum Fall Charlotte Dard, wobei es sich zum Großteil um Kopien der Autopsie- und Laborberichte und um histologische Dias handelt.
    Scarpetta legt eine Diaaufnahme der linken Herzkammerscheidewand auf den Objektträger des Mikroskops. Wenn sie all die Stunden addieren könnte, die sie im Laufe ihres Berufslebens mit dem Betrachten von Dias verbracht hat, wären es si- cher Zehntausende. Obwohl sie eine Hochachtung vor Histo- logen hat, die ihr Leben den winzigen Zellstrukturen des Gewebes und der Geschichte, die sie erzählen können, gewidmet haben, begreift sie nicht, wie jemand freiwillig tagein, tagaus in einem winzigen Labor sitzen kann, inmitten von sezierten Herzen, Lungen, Lebern, Gehirnen und anderen Organen sowie Wunden und Krankheitsspuren, die in Stückchen zerschnitten werden und in Gläsern mit Konservierungsmitteln wie Formalin eine gummiähnliche Konsistenz annehmen. Jedes Gewebeteilchen wird in Paraffin oder Kunstharz eingebettet

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