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Die Dämonen ruhen nicht

Die Dämonen ruhen nicht

Titel: Die Dämonen ruhen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Lucy wird sich verfolgt fühlen. Bestimmt wird sie sich ärgern, denn sie hat kein Verständnis für Schlamperei und technisches Versagen. Ganz sicher wird sie der Telefongesellschaft oder ihren Mitarbeitern die Schuld an dem Problem geben. Vermutlich Letzteren.
    Wenn sie Jim, den Portier, fragt, wird er antworten, er habe zu dem Zeitpunkt, als der Anruf einging, vor dem Haus oder in der näheren Umgebung niemanden mit einem Mobiltelefon beobachtet. Das wird gelogen sein. In New York laufen nämlich fast alle Leute mit einem Mobiltelefon am Ohr herum. Die Wahrheit ist, dass Jim, selbst falls er sich erinnern sollte, wann genau er seinen Posten verlassen hat, um in die klimatisierte Vorhalle zu gehen, dieses gewiss nicht zugeben wird.
    Die letzte Hürde ist die Stimmenanalyse, die Lucy sofort durchführen wird, um sich zu vergewissern, dass es sich bei dem Anrufer tatsächlich um Jean-Baptiste Chandonne handelt. Doch auch das ist kein Problem. Benton hat einige Jahre damit verbracht, Aufnahmen von Jean-Baptistes Stimme gründlich zu studieren, zu transkribieren und zu schneiden. Anschließend hat er sie in digitalen Dateien gespeichert, und zwar mit einem Richtmikrofon, das, wenn man es auf hohe Empfindlichkeit einstellt, Töne aus allen Richtungen sowie Hintergrundgeräusche auffangen kann - in diesem Fall aus dem Inneren eines Gefängnisses. Benton hat die Aufnahmen am Computer bearbeitet, bis dem Ergebnis keine Übergänge mehr anzuhören waren. Jede Datei ist ein überfallartiges Klanggebilde, geeignet sowohl für Voicemail als auch für einen lebendigen Zuhörer, der jedoch keine Chance erhält, etwas zu erwidern, da dazu eine übermenschliche Schlagfertigkeit vonnöten wäre. Benton schaltet von »Menü« auf einen Ordner, den er nach Baton Rouge - roter Stab - »Redstick« benannt hat; er überprüft die Uhrzeit auf dem Display und vergewissert sich noch einmal, dass alle Details stimmen.
    Dann stöpselt er das Mikrofon in die Lautsprecherbuchse ein und steckt sich den Ohrhörer ins Ohr. Bei Infosearch Solutions - Dem Letzten Revier - wird abgenommen.
    »Manhattan. R-Gespräch für Infosearch Solutions in der 75.«, sagt er ins Mikrofon.
    »Ihr Name?«
    »Justizvollzugsanstalt Polunsky.«
    »Bitte warten Sie.«
    Die Telefonistin stellt die Verbindung her.
    »R-Gespräch aus der Justizvollzugsanstalt Polunsky. Übernehmen Sie die Kosten?«
    »Ja.« Ohne Zögern oder Veränderung des Tonfalls.
    »Guten Tag. Darf ich fragen, wer am Apparat ist?«, fährt eine Männerstimme fort, als die Rufnummererkennung die Justizvollzugsbehörden von Texas anzeigt.
    Benton stellt die Geräuschunterdrückung höher, um den New Yorker Verkehrslärm auszublenden, denn der wäre fatal bei einem Anruf, der angeblich aus dem Inneren einer Strafanstalt kommt. Dann drückt er auf »Play«. Ein grünes Lämpchen leuchtet auf, und die erste Datei wird abgespielt.
    »Wenn Mademoiselle Farinelli zurückkommt, sagen Sie ihr: Baton Rouge.« Jean-Baptistes Stimme vom Band klingt so natürlich, als würde er tatsächlich sprechen.
    »Sie ist momentan nicht hier. Wer sind Sie? Wie heißen Sie?«, versucht der Mann in Lucys Büro dem Computerchip Informationen zu entlocken. »Kann ich ihr etwas ausrichten?«
    Einige Sekunden nach dem Telefonat löscht Benton Datei eins von »Redstick«, um sicherzugehen, dass nie wieder jemand Jean-Baptistes gefälschte Nachricht abspielen kann.
    Dann eilt er den belebten Bürgersteig entlang; sein Kopf ist gesenkt, aber ihm entgeht nichts.

59
    »Bitte, tun Sie mir nichts«, fleht das Lamm.
    Jay hilft der Frau beim Aufsetzen. Sie weint und stöhnt, als er sanft ihr blutiges Haar säubert und sich besorgt über die Platzwunde äußert, die durch die stumpfe Gewalt beim Zusammenprall ihres Kopfes mit dem Außenbordmotor entstanden ist. Er versichert ihr, die Verletzung sei nicht schwer und sie habe auch keinen Schädelbruch davongetragen. Sie sähe doch nicht etwa doppelt, oder?
    »Nein«, erwidert sie und hält den Atem an, als er wieder ihr Haar mit dem feuchten, blutigen Handtuch berührt. »Ich sehe wunderbar.«
    Jays Charme und Fürsorglichkeit verfehlen wie immer ihre Wirkung nicht, und die Aufmerksamkeit der Frau gilt deshalb nur ihm. Sie identifiziert sich sogar so mit ihm, dass sie glaubt, ihm anvertrauen zu können, Bev - deren Namen sie nicht kennt - habe sie gegen den Außenbordmotor gestoßen.
    »So habe ich mir den Kopf verletzt«, erklärt sie Jay.
    Er wirft das blutige Handtuch Bev zu. Diese hat

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