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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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wären sie weit ruhiger gewesen und hätten nicht das Gefühl der Gefahr zu einem Bedürfnisse ihrer Natur gemacht. Aber die in ihnen steckende Feigheit zu überwinden, das war es, was sie reizte. Die ununterbrochene Siegestrunkenheit und das Bewußtsein, keinen Stärkeren über sich zu haben, das hatte für sie eine große Anziehungkraft. Dieser L***n hatte schon vor seiner Verschickung eine Zeitlang mit dem Hunger gekämpft und sich sein Brot durch schwere Arbeit erworben, einzig und allein weil er sich den Forderungen seines reichen Vaters nicht fügen wollte, die er für ungerecht hielt. Also verstand er sich auf vielen Gebieten darauf, zu kämpfen und zu ringen; nicht nur dem Bären gegenüber und nicht nur in Duellen legte er Wert darauf, Festigkeit und Charakterstärke zu beweisen.
    Aber seitdem sind viele Jahre vergangen, und bei der nervösen, abgequälten und zerspaltenen Natur der Menschen unserer Zeit kann jetzt überhaupt kein Bedürfnis nach jenen starken, vollen Empfindungen aufkommen, nach denen damals manche von ruhiger Tätigkeit nicht befriedigte Herren der guten alten Zeit so begierig waren. Nikolai Wsewolodowitsch hätte auf einen L***n vielleicht von oben herabgesehen und ihn wohl gar einen stets tapfer tuenden Feigling, ein Hähnchen genannt; allerdings würde er das nicht laut ausgesprochen haben. Er würde im Duell auf den Gegner geschossen haben und einem Bären entgegengetreten sein, wenn es nötig gewesen wäre, und im Walde sich eines Räubers erwehrt haben, alles ebenso erfolgreich und ebenso furchtlos wie L***n, aber ohne jede Lustempfindung, sondern lediglich infolge der unangenehmen Notwendigkeit, matt, träge, sogar gelangweilt. Was Bosheit anlangte, war er natürlich einem L***n und sogar einem Lermontow weit überlegen. Bosheit besaß Nikolai Wsewolodowitsch vielleicht mehr als diese beiden zusammen; aber diese Bosheit war eine kalte, ruhige und, wenn man sich so ausdrücken kann, eine vernünftige, also die abscheulichste und furchtbarste, die es nur geben kann. Ich wiederhole noch einmal: ich hielt ihn damals und halte ihn noch jetzt (wo alles schon zu Ende ist) entschieden für einen Menschen, der, wenn er einen Schlag ins Gesicht oder eine ähnliche Beleidigung von gleicher Stärke empfangen hätte, seinen Gegner unverzüglich totgeschlagen haben würde, sofort, auf der Stelle und ohne Herausforderung zum Duell.
    Und doch geschah im vorliegenden Falle etwas ganz Anderes, etwas Seltsames.
    Kaum hatte er sich wieder geradegerichtet, nachdem er sich infolge der erhaltenen Ohrfeige so schmählich beinah bis zur halben Höhe seines Wuchses zur Seite gebeugt hatte, und noch war, wie es mir vorkam, im Zimmer der gemeine und gewissermaßen feuchte Klang von dem Faustschlage ins Gesicht nicht verhallt, als er sofort Schatow mit beiden Händen an den Schultern faßte; aber unmittelbar darauf, fast in demselben Augenblicke, zog er auch seine beiden Arme wieder zurück und verschränkte sie hinter seinem Rücken. Er schwieg, blickte Schatow an und wurde bleich wie Leinwand. Aber sonderbar: sein Blick war wie erloschen. Nach zehn Sekunden blickten seine Augen kalt und (ich bin überzeugt, daß ich nicht die Unwahrheit rede) ruhig. Er war nur furchtbar blaß. Natürlich weiß ich nicht, was in seinem Innern vorging; ich sah nur die Außenseite. Mir scheint, wenn es jemanden gäbe, der zum Beispiel eine rotglühende Eisenstange ergriffe und mit der Hand festhielte, um seine Standhaftigkeit zu erproben, und dann zehn Sekunden lang den entsetzlichen Schmerz zu überwinden suchte und ihn schließlich wirklich überwände, dann würde, glaube ich, dieser Mensch eine ähnliche Empfindung haben wie jetzt Nikolai Wsewolodowitsch in diesen zehn Sekunden.
    Der erste von den beiden, der die Augen niederschlug, war Schatow, und offenbar, weil er sich gezwungen sah, sie niederzuschlagen. Dann drehte er sich langsam um und ging aus dem Zimmer, aber keineswegs mehr mit demselben Gange, mit dem er soeben an seinen Gegner herangetreten war. Er ging leise fort, zog in einer eigentümlich unbeholfenen Weise die Schultern von hinten in die Höhe, ließ den Kopf herunterhängen und schien etwas bei sich zu überlegen. Mir war, als ob er etwas vor sich hin flüsterte. Er ging vorsichtig bis an die Tür, ohne an etwas anzustoßen oder etwas umzuwerfen, und öffnete die Tür nur ein wenig, so daß er sich durch die Öffnung beinahe seitwärts hindurchschob. Während er hindurchschlüpfte, war der auf seinem

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