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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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nachdenklich; aber das Nachdenken war ihm schädlich und war ihm von den Ärzten verboten worden. Abgesehen davon, daß ihm die Verwaltung des Gouvernements viel Mühe und Sorge machte, wovon wir weiter unten sprechen werden, war da noch ein besonderer Umstand, und es litt dabei sogar sein Herz und nicht nur sein Ehrgefühl als hoher Beamter. Als Andrei Antonowitsch seine Ehe einging, hielt er es für ganz ausgeschlossen, daß in seiner Familie künftig einmal Streitigkeiten und Zerwürfnisse vorkommen könnten. Diese Vorstellung hatte er sein ganzes Leben über gehabt, wenn er von einer Minna und Ernestine träumte. Er fühlte, daß er nicht imstande sei, häusliche Gewitter zu ertragen. Julija Michailowna sprach sich endlich mit ihm offen aus.
    »Zu ärgern brauchst du dich doch darüber nicht,« sagte sie, »schon deswegen nicht, weil du dreimal so verständig bist als er und auf der gesellschaftlichen Stufenleiter unermeßlich hoch über ihm stehst. In diesem Jungen stecken noch viele Überreste früherer freidenkerischer übler Angewohnheiten oder nach meiner Auffassung einfach viel Unart; aber so plötzlich ist dagegen nichts zu tun; da muß man Schritt für Schritt vorgehen. Man muß unsere jungen Leute achten und schätzen; ich wirke durch Freundlichkeit auf sie ein und halte sie so am Rande des Abgrundes zurück.«
    »Aber er redet ganz tolle Geschichten,« erwiderte v. Lembke. »Ich kann mich nicht tolerant benehmen, wenn er in meiner Gegenwart und vor den Ohren anderer Leute behauptet, die Regierung befördere absichtlich das Branntweintrinken, um das Volk zu verdummen und dadurch von einem Aufstande abzuhalten. Stelle dir vor, was ich für eine Rolle spiele, wenn ich so etwas in Gegenwart aller Leute anhören muß!«
    Als v. Lembke dies sagte, erinnerte er sich an ein Gespräch, das er unlängst mit Peter Stepanowitsch gehabt hatte. Mit der unschuldigen Absicht, diesen durch Bekundung einer liberalen Gesinnung zu entwaffnen, hatte er ihm seine eigene geheime Sammlung von allen möglichen in Rußland und im Auslande erschienenen revolutionären Proklamationen gezeigt; er hatte diese Papiere seit dem Jahre 1859 mit großer Sorgfalt gesammelt, nicht sowohl aus innerem Interesse als vielmehr einfach, weil er sich davon möglicherweise einen Nutzen versprach. Peter Stepanowitsch, der seine Absicht erriet, bemerkte grob, in einer einzigen Zeile der neuen Proklamationen stecke mehr Sinn und Verstand als in einer ganzen Regierungskanzlei, »die Ihrige nicht ausgenommen«.
    Lembke fühlte sich verletzt.
    »Aber das ist für uns noch verfrüht, stark verfrüht,« erwiderte er in beinah bittendem Tone, indem er auf die Proklamationen wies.
    »Nein, es ist nicht verfrüht; Sie fürchten sich ja davor; also ist es nicht verfrüht.«
    »Aber hier steht doch zum Beispiel eine Aufforderung zur Zerstörung der Kirchen.«
    »Warum denn nicht? Sie sind ja doch ein verständiger Mensch und glauben gewiß selbst an nichts, sehen aber recht gut ein, daß der Glaube für Sie notwendig ist, damit das Volk dumm bleibt. Die Wahrheit ist ehrenhafter als die Lüge.«
    »Einverstanden, einverstanden, ich bin mit Ihnen vollkommen einverstanden; aber das ist für uns noch verfrüht, verfrüht,« versetzte v. Lembke mit gerunzelter Stirn.
    »Aber was sind Sie denn für ein Regierungsbeamter, wenn Sie sich selbst damit einverstanden erklären, daß das Volk die Kirchen zerstören und mit Keulen bewaffnet nach Petersburg ziehen soll, und nur über den Zeitpunkt, wann das geschehen soll, anderer Meinung sind?«
    Als v. Lembke sich in so grober Weise hatte fangen lassen, war er sehr pikiert.
    »So verhält sich das nicht, so verhält sich das nicht,« sagte er, in seinem Selbstgefühl verletzt und immer mehr in Eifer geratend. »Sie als junger Mensch, und namentlich bei Ihrer Unbekanntschaft mit unseren Zielen, befinden sich in einem großen Irrtum. Sehen Sie, liebster Peter Stepanowitsch; Sie nennen uns Regierungsbeamte? Richtig. Selbständige Beamte? Richtig. Aber erlauben Sie, wie verfahren wir? Auf uns liegt die Verantwortung, und alles in allem genommen, dienen wir der gemeinsamen Sache ebenso wie Sie jungen Leute. Wir stützen nur das, was Sie wankend machen, und was ohne unsere Tätigkeit nach allen Seiten auseinanderfallen würde. Wir sind nicht Ihre Feinde, durchaus nicht; wir sagen zu Ihnen: ›Gehen Sie vorwärts, wirken Sie fortschrittlich; rütteln Sie sogar an allem Alten, das der Umgestaltung bedarf; aber wir werden Sie, wenn

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