Die Dämonen
halten; die Kirchenbesucher hörten, fromm die Hände faltend, zu; eine Dame trocknete sich mit dem Taschentuche die Tränen; ein alter Mann schneuzte sich; gegen Ende ertönte ein kleines Orgelwerk, das trotz der Kosten in der Schweiz auf Bestellung angefertigt und von dort bereits hergeschickt war. Julija Michailowna bekam einen ordentlichen Schreck, als sie von dieser Arbeit erfuhr, nahm sie ihrem Manne sogleich weg und schloß sie bei sich in die Kommode ein; statt dessen erlaubte sie ihm, Romane zu schreiben, aber nur insgeheim. Von der Zeit an begann sie, nur auf sich selbst zu rechnen. Das Unglück war dabei nur, daß sie gar zu unbesonnen war und nicht Maß zu halten verstand. Das Schicksal hatte sie gar zu lange eine alte Jungfer bleiben lassen. Eine Idee nach der andern keimte nun in ihrem ehrgeizigen und etwas reizbaren Geiste. Sie schmiedete Pläne; sie wollte unbedingt das Gouvernement regieren, sah sich schon vorahnend von einer Schar von Anhängern umgeben und wählte sich eine politische Richtung. Herr v. Lembke wurde sogar ein wenig ängstlich, wiewohl er mit seinem Beamteninstinkt bald herausfühlte, daß er für sein Ansehen als Gouverneur eigentlich keinen Anlaß zu Befürchtungen habe. Die ersten zwei, drei Monate vergingen sogar in recht befriedigender Weise. Aber da erschien Peter Stepanowitsch auf der Bildfläche, und es begab sich etwas sehr Sonderbares.
Die Sache war die, daß der junge Werchowenski gleich von seinem ersten Auftreten an eine entschiedene Respektlosigkeit gegen Andrei Antonowitsch an den Tag legte und ihm gegenüber ganz sonderbare Rechte in Anspruch nahm, Julija Michailowna aber, die doch sonst immer so eifersüchtig darauf bedacht war, die Autorität ihres Gatten zu wahren, überhaupt nichts davon zu bemerken schien; wenigstens maß sie der Sache keine Bedeutung bei. Der junge Mann wurde ihr Günstling, aß und trank im Hause, ja er schlief sogar dort mitunter. Herr v. Lembke suchte sich gegen ihn zu wehren, nannte ihn in Anwesenheit anderer »junger Mann«, klopfte ihm gönnerhaft auf die Schulter, machte aber damit auf ihn keinen Eindruck. Peter Stepanowitsch lachte, selbst wenn er anscheinend ernst sprach, ihm immer geradezu ins Gesicht und sagte ihm in Gegenwart anderer die unerwartetsten Dinge. Als v. Lembke eines Tages nach Hause zurückkehrte, fand er den jungen Menschen uneingeladen in seinem Arbeitszimmer, wo er auf dem Sofa schlief. Dieser erklärte, er habe ihm einen Besuch machen wollen und sei, da er ihn nicht zu Hause getroffen habe, zufällig eingeschlafen. Herr v. Lembke fühlte sich beleidigt und beklagte sich von neuem bei seiner Gemahlin; aber diese lachte ihn wegen seiner Empfindlichkeit aus und bemerkte anzüglich, er selbst verstehe offenbar nicht, den richtigen Standpunkt einzunehmen; ihr gegenüber wenigstens erlaube sich »dieser Junge« niemals Familiaritäten; übrigens besitze er »eine hübsche Naivität und Frische, wenn auch keine gesellschaftlichen Formen«. Herr v. Lembke schmollte. Diesmal brachte sie eine Versöhnung zwischen den beiden zustande. Peter Stepanowitsch bat nicht eigentlich um Entschuldigung, sondern half sich durch einen derben Witz heraus, den man unter andern Umständen für eine neue Beleidigung hätte halten können, der aber im vorliegenden Falle als ein Ausdruck von Reue aufgefaßt wurde. Der schwache Punkt lag darin, daß Andrei Antonowitsch gleich zu Beginn einen Fehler begangen, nämlich dem andern von seinem Roman Mitteilung gemacht hatte. Da er in ihm einen jungen Mann von feurigem Temperamente und poetischen Empfindungen zu erkennen geglaubt und sich schon längst einen Zuhörer gewünscht hatte, so hatte er gleich in den ersten Tagen der Bekanntschaft ihm eines Abends zwei Kapitel vorgelesen. Peter Stepanowitsch hatte zugehört, ohne seine Langeweile zu verbergen, hatte unhöflich gegähnt, an keiner Stelle ein Lob ausgesprochen, aber beim Weggehen sich das Manuskript ausgebeten, um sich in Muße eine Meinung darüber bilden zu können, und Andrei Antonowitsch hatte es ihm überlassen. Seitdem hatte er das Manuskript nicht zurückgegeben, obwohl er täglich ins Haus kam, und auf Fragen danach nur mit Lachen geantwortet; zuletzt hatte er erklärt, er habe es gleich damals auf der Straße verloren. Als Julija Michailowna davon erfuhr, wurde sie auf ihren Mann gewaltig böse.
»Hast du ihm am Ende gar auch von der Kirche etwas gesagt?« fragte sie aufgeregt und ängstlich.
Herr v. Lembke wurde entschieden
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