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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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sowie derselbe Platz genommen hatte.
    »Stawrogin, wollen Sie Tee?«
    »Bitte!« antwortete dieser.
    »Für Stawrogin Tee!« befahl sie ihrer Schwester, die das Einschenken besorgte. »Wollen Sie auch?« (Die letzten Worte waren an Werchowenski gerichtet.)
    »Geben Sie her! Natürlich! Wer fragt denn Gäste danach erst? Und geben Sie auch Sahne dazu; bei Ihnen bekommt man immer ein schreckliches Gesöff für Tee; und dabei wird hier doch sogar ein Namenstag gefeiert.«
    »Was? Auch Sie erkennen das Feiern von Namenstagen als berechtigt an?« rief die Studentin lachend. »Wir haben soeben darüber gesprochen.«
    »Eine alte Geschichte!« brummte der Gymnasiast vom andern Ende des Tisches her.
    »Was meinen Sie mit ›alte Geschichte‹? Vorurteile, und wenn es auch die allerunschuldigsten sind, abzulegen, ist keine alte Geschichte, sondern im Gegenteil zu allgemeiner Schande bis jetzt noch etwas Neues,« entgegnete die Studentin sofort und bewegte sich dabei so heftig, als ob sie aufspringen wollte. »Außerdem gibt es gar keine unschuldigen Vorurteile,« fügte sie erbittert hinzu.
    »Ich wollte nur erklären,« entgegnete der Gymnasiast in starker Aufregung, »daß Vorurteile zwar sicherlich eine alte Sache sind und ausgerottet werden müssen, daß aber, was Namenstage anlangt, alle Menschen schon wissen, daß das eine Dummheit und eine zu alte Geschichte ist, als daß man seine kostbare Zeit damit verlieren sollte, von der sowieso schon die ganze Welt zuviel verliert, so daß man seinen Scharfsinn auf notwendigere Dinge verwenden könnte ...«
    »Sie ziehen das zu sehr in die Länge; es ist ja nicht zu verstehen!« rief die Studentin.
    »Mir scheint, daß ein jeder das Recht der Meinungsäußerung hat, ebensogut wie der andere, und wenn ich ebenso wie jeder andere meine Meinung auszusprechen wünsche, so ...«
    »Niemand nimmt Ihnen das Recht der Meinungsäußerung,« unterbrach ihn hier die Hausfrau selbst in scharfem Tone. »Man fordert Sie nur auf, nicht zu quasseln, weil Sie sonst niemand verstehen kann.«
    »Aber erlauben Sie mir zu bemerken, daß Sie mich nicht respektvoll behandeln; wenn ich meinen Gedanken nicht bis zu Ende bringen konnte, so kam das nicht daher, daß ich keine Gedanken gehabt hätte, sondern eher von einer Überfülle an Gedanken ...« murmelte der Gymnasiast halb verzweifelt und geriet nun vollständig in Konfusion.
    »Wenn Sie nicht zu reden verstehen, dann schweigen Sie!« trumpfte ihn die Studentin ab.
    Der Gymnasiast sprang von seinem Stuhle in die Höhe.
    »Ich wollte nur bemerken,« rief er (sein Gesicht brannte vor Scham, und er fürchtete sich, die Anwesenden anzusehen), »daß Sie nur Ihren Verstand leuchten lassen wollten, weil Herr Stawrogin hereingekommen ist. Das ist die Sache!«
    »Was Sie da gesagt haben, ist schmutzig und unmoralisch und zeigt, auf einer wie niedrigen Entwicklungsstufe Sie stehen. Ich ersuche Sie, sich nicht mehr an mich zu wenden,« erwiderte die Studentin scharf.
    »Stawrogin,« begann die Wirtin, »ehe Sie kamen, disputierte man hier über die Familienrechte, – besonders der Offizier da« (sie deutete durch eine Kopfbewegung auf ihren Verwandten, den Major, hin). »Ich werde Sie natürlich nicht mit diesem alten Unsinn behelligen; diese Frage ist ja längst entschieden. Aber woher haben denn die Rechte und Pflichten der Familie, so wie man sie dem jetzt bestehenden Vorurteile zufolge auffaßt, entstehen können? Das ist die Frage. Wie denken Sie darüber?«
    »Wie meinen Sie das: woher sie haben entstehen können?« fragte Stawrogin.
    »Das ist so gemeint: wir wissen zum Beispiel, daß das Vorurteil von der Existenz Gottes sich von dem Blitze und dem Donner herschreibt,« mischte sich die Studentin schnell wieder ein und blickte dabei Stawrogin an, als ob ihr die Augen aus dem Kopfe springen wollten. »Es ist ganz bekannt, daß die Menschen der Urzeit, durch den Blitz und den Donner erschreckt, den unsichtbaren Feind, dem gegenüber sie sich schwach fühlten, zum Gotte erhoben. Aber woher schreibt sich das Vorurteil von der Familie? Wie hat die Familie selbst entstehen können?«
    »Das ist nicht ganz dasselbe ...« versuchte die Wirtin einzuwerfen.
    »Ich glaube, daß die Antwort auf diese Frage indezent herauskommen würde,« antwortete Stawrogin.
    »Wieso?« fragte die Studentin heftig.
    Aber in der Lehrergruppe ließ sich ein Kichern vernehmen, das sogleich am andern Ende bei Ljamschin und dem Gymnasiasten seinen Widerhall fand; nach ihnen brach

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