Die Dämonen
Sie sah mich, schüchtern lächelnd, an. Ihr Gesicht kam mir auf einmal dumm vor. Ihre Aufregung steigerte sich schnell: sie wurde von einem Augenblicke zum andern stärker. Schließlich bedeckte sie das Gesicht mit den Händen, trat in eine Ecke und blieb dort regungslos stehen, mit dem Gesichte nach der Wand zu. Ich fürchtete, daß sie wieder Angst habe wie vorhin, und verließ schweigend die Wohnung und das Haus.
Ich nehme an, daß alles Vorgefallene ihr schließlich als eine grenzenlose Unanständigkeit erschien, über die sie eine Todesangst empfand. Trotz der russischen Schimpfworte und sonderbaren Gespräche, die sie von frühester Kindheit an gehört haben mußte, bin ich vollkommen davon überzeugt, daß sie vom Geschlechtsverkehr noch nichts verstanden hatte. Gewiß hatte sie jetzt zuletzt die Vorstellung, daß sie ein unerhörtes, todeswürdiges Verbrechen begangen, daß sie »Gott getötet« habe.
In der nächsten Nacht hatte ich in einer Schenke jene Prügelei, die ich schon kurz erwähnt habe. Aber ich erwachte am Morgen in meinem Quartier in der Pension; Lebjadkin hatte mich hingebracht. Mein erster Gedanke nach dem Aufwachen war: ob sie wohl etwas davon gesagt hat? Das war ein Augenblick wirklicher Angst, wiewohl sie noch nicht sehr groß war. Ich war an diesem Morgen sehr vergnügt und gegen alle außerordentlich freundlich, und die ganze Bande war mit mir sehr zufrieden. Aber ich machte mich von ihnen allen los und ging nach der Gorochowaja-Straße. Ich traf Matroscha schon unten im Hausflur. Sie kam von einem Laden, wohin sie geschickt worden war, um Zichorie zu holen. Sobald sie mich erblickte, lief sie in furchtbarer Angst, so schnell sie nur konnte, die Treppe hinauf. Als ich oben ankam, hatte die Mutter ihr schon eine Ohrfeige dafür gegeben, daß sie so »Hals über Kopf« in die Wohnung hereingestürzt war, und dies diente nun dazu, die wahre Ursache ihres Schreckens zu verdecken. So war denn vorläufig alles ruhig. Sie hatte sich irgendwo versteckt und kam die ganze Zeit über, während ich da war, nicht hervor. Ich blieb ungefähr eine Stunde lang da und ging dann wieder weg.
Am Abend hatte ich wieder ein Angstgefühl, das aber schon unvergleichlich viel stärker war. Allerdings konnte ich leugnen; aber man konnte mich überführen, und es schwante mir etwas vom Zuchthause. Ich habe sonst nie Angst gehabt und habe mich, von diesem Falle abgesehen, nie vor etwas gefürchtet, weder vorher noch nachher. Namentlich auch nicht vor Sibirien, obwohl ich mehr als einmal hätte dorthin verschickt werden können. Diesmal aber war ich doch in Furcht und empfand, ich weiß nicht warum, zum erstenmal in meinem Leben tatsächlich Angst, eine recht qualvolle Empfindung. Außerdem begann ich am Abend, als ich in meinem Quartier in der Pension war, Matroscha dermaßen zu hassen, daß ich den Entschluß faßte, sie zu töten. Am ärgsten wurde mein Haß bei der Erinnerung an ihr Lächeln. Eine Verachtung, die sich mit maßlosem Ekel paarte, wuchs in mir heran, hervorgerufen durch die Art, wie sie, nachdem alles geschehen, in die Ecke gestürzt war und das Gesicht mit den Händen bedeckt hatte; es ergriff mich eine unsagbare Wut; darauf folgte ein Frostschauer, und als sich gegen Morgen Fieberhitze einstellte, bemächtigte sich meiner wieder die Angst, aber nun eine so starke Angst, daß ich nie eine größere Qual kennen gelernt habe. Aber hassen tat ich das Mädchen nun nicht mehr, wenigstens nicht bis zu dem sinnlos hohen Grade wie am Abend. Ich habe die Beobachtung gemacht, daß eine starke Angst den Haß und die Rachsucht vollständig vertreibt.
Ich erwachte gegen Mittag, fühlte mich gesund und wunderte mich sogar über die Stärke meiner gestrigen Empfindungen. Indessen war ich übler Laune; ich hielt es für notwendig, wieder nach der Gorochowaja-Straße zu gehen, trotz all meines Widerwillens. Ich erinnere mich, daß ich damals die größte Lust hatte, unterwegs mit irgend jemand Streit zu bekommen, aber nur einen ernsthaften Streit. Als ich aber nach der Gorochowaja-Straße kam, fand ich zu meiner Überraschung in meinem Zimmer Nina Saweljewna, jene Kammerjungfer, vor, die schon etwa eine Stunde lang auf mich gewartet hatte. Dieses Mädchen liebte ich gar nicht, so daß sie selbst ein bißchen Angst hatte, ich könnte wegen ihres unverlangten Besuches auf sie böse werden. Aber ich freute mich vielmehr plötzlich, sie zu sehen. Sie war ein hübsches Mädchen, aber sehr bescheiden und hatte
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