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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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saßen. Dort lag auf einem Stuhle dicht an der Tür, sauber zusammengelegt, sein Uniformrock. Dieser Gedanke war in mir schon, als ich noch auf dem Korridor war, aufgeblitzt. Ich steckte die Hand in die Tasche dieses Rockes und zog das Portemonnaie heraus. Aber der Beamte hatte das Geräusch gehört und schaute aus der Nebenstube heraus. Er hatte meine Handlung, wie ich glaube, sogar gesehen, wenigstens etwas davon; aber da er nicht alles gesehen hatte, so traute er natürlich seinen Augen nicht. Ich sagte, ich sei auf dem Korridor vorbeigekommen und hereingetreten, um auf seiner Wanduhr zu sehen, wie spät es wäre. »Sie steht,« antwortete er, und ich ging hinaus.
    Ich hatte mich damals stark dem Trinken ergeben und hatte in der Pension eine ganze Bande um mich, darunter auch Lebjadkin. Das Portemonnaie nebst dem kleinen Gelde warf ich weg, die Banknoten aber behielt ich. Es waren zweiunddreißig Rubel, drei rote und zwei gelbe Scheine. Ich wechselte sogleich einen roten Schein und ließ Champagner holen; nachher machte ich es mit dem zweiten und darauf mit dem dritten roten Scheine ebenso. Nach ungefähr vier Stunden (es war schon Abend) redete mich der Beamte auf dem Korridor, wo er auf mich gewartet hatte, an.
    »Haben Sie, Nikolai Wsewolodowitsch, als Sie vorhin zu mir hereinkamen, nicht zufällig meinen Uniformrock vom Stuhle gestoßen ... er lag bei der Tür?«
    »Nein, ich erinnere mich nicht; lag denn bei Ihnen ein Uniformrock?«
    »Ja, er lag da.«
    »Auf dem Fußboden?«
    »Zuerst auf dem Stuhle, nachher auf dem Fußboden.«
    »Na, haben Sie ihn denn aufgehoben?«
    »Ja.«
    »Na also, was wollen Sie dann noch?«
    »Wenn es so ist, dann ist nichts ...«
    Er wagte nicht auszusprechen, was er dachte, wagte auch nicht, es in der Pension jemandem zu erzählen – so schüchtern sind diese Leute. Übrigens hatten in der Pension alle eine schreckliche Furcht und einen gewaltigen Respekt vor mir. Ich liebte es nachher, ihm gerade in die Augen zu sehen, und tat das ein paarmal auf dem Korridor. Aber bald wurde es mir langweilig.
    Nach drei Tagen kehrte ich nach der Gorochowaja-Straße zurück. Die Mutter schickte sich eben an, mit einem Bündel fortzugehen; der Mann war selbstverständlich nicht da; so blieb ich denn mit Matroscha allein. Die Fenster waren geöffnet. In diesem Hause wohnten lauter Handwerker, und den ganzen Tag über hörte man aus allen Stockwerken das Klopfen der Hämmer oder die Lieder der Arbeitenden. Wir waren schon etwa eine Stunde lang in der Wohnung zusammen gewesen. Matroscha saß in ihrem Stübchen auf einem Schemel, mir den Rücken zuwendend, und war mit einer Nadelarbeit beschäftigt. Zuletzt fing sie auf einmal leise an zu singen, sehr leise; das machte sie manchmal so. Ich zog die Uhr heraus und sah nach, wie spät es war; es war zwei. Das Herz begann mir heftig zu klopfen. Ich stand auf und schlich zu ihr hin. Sie hatten auf den Fensterbrettern viele Töpfe mit Geranium stehen, und die Sonne schien sehr grell. Ich setzte mich leise neben ihr auf den Fußboden. Sie fuhr zusammen, bekam zuerst einen furchtbaren Schreck und sprang auf. Ich ergriff ihre Hand und küßte sie leise, zog sie wieder auf den Schemel zurück und begann ihr in die Augen zu sehen. Der Umstand, daß ich ihr die Hand geküßt hatte, brachte sie wie ein Kind auf einmal zum Lachen, aber nur eine Sekunde lang; dann sprang sie hastig zum zweiten Male auf, und nun in solcher Angst, daß ihr ein Krampf über das Gesicht lief. Sie sah mich mit erschreckend starren Augen an, und ihre Lippen begannen zu zucken, wie wenn sie in Tränen ausbrechen wollte; aber doch schrie sie nicht auf. Ich küßte ihr wieder die Hand und nahm sie auf meinen Schoß. Da bog sie sich auf einmal mit dem ganzen Leibe von mir weg und lächelte wie verschämt in einer sonderbar gezwungenen Art. Ihr ganzes Gesicht glühte vor Scham. Ich flüsterte ihr wie ein Betrunkener fortwährend etwas zu. Zuletzt begab sich plötzlich etwas ganz Seltsames, was ich nie vergessen werde, und was mich in das größte Erstaunen versetzte: das Mädchen schlang die Arme um meinen Hals und begann auf einmal selbst mich leidenschaftlich zu küssen. Ihr Gesicht drückte das höchste Entzücken aus. Ich wollte schon aufstehen und weggehen, so unangenehm war mir dieses Benehmen des kleinen Geschöpfes: ich fühlte plötzlich mit ihr Mitleid.
    Als alles zu Ende war, befand sie sich in großer Aufregung. Ich versuchte nicht, sie zu beruhigen, und liebkoste sie nicht mehr.

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