Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
Vom Netzwerk:
Gesicht einen unheilverkündenden und, was das Allerschlimmste war, einen etwas komischen Ausdruck trug, einen Ausdruck, als ob er in Gottes Namen sich zum Opfer bringen wolle, um nur damit den höheren Zielen seiner Gemahlin zu dienen ... Julija Michailowna winkte mich schnell zu sich und flüsterte mir zu, ich möchte zu Karmasinow laufen und ihn dringend bitten anzufangen. Und siehe da: kaum daß ich mich umgedreht hatte, da trug sich eine andere Abscheulichkeit zu, nur noch weit garstiger als die erste. Auf der Estrade, auf der leeren Estrade, wohin bis jetzt die Blicke und Erwartungen aller gerichtet waren, und wo nur ein kleiner Tisch, dahinter ein Stuhl und auf dem Tische ein Glas Wasser auf einem silbernen Präsentierteller zu sehen waren, auf der leeren Estrade erschien plötzlich die riesenhafte Gestalt des Hauptmanns Lebjadkin im Frack und mit weißer Halsbinde. Ich war so überrascht, daß ich meinen Augen nicht traute. Der Hauptmann schien verlegen zu sein und blieb im Hintergrunde der Estrade stehen. Auf einmal hörte man aus dem Publikum rufen: »Lebjadkin! du?« Die dumme, rote Visage des Hauptmanns (er war total betrunken) verzog sich bei diesem Anrufe zu einem breiten, stumpfsinnigen Lächeln. Er hob die Hand in die Höhe, wischte sich mit ihr die Stirn, schüttelte seinen struppigen Kopf, machte dann, wie wenn er zu allem entschlossen wäre, zwei Schritte vorwärts und – brach plötzlich in ein prustendes Lachen aus, das nicht laut, aber helltönend, langgezogen und glückselig war, und bei dem die ganze wuchtige Masse seines Körpers in schaukelnde Bewegung geriet und die kleinen Augen sich zusammenzogen. Bei diesem Anblick fing beinah die Hälfte des Publikums an zu lachen, und etwa zwanzig Menschen klatschten Beifall. Der ernste Teil des Publikums wechselte finstere Blicke; das Ganze dauerte indes nicht länger als eine halbe Minute. Liputin mit seiner Festordnerschleife und zwei Diener liefen schnell auf die Estrade; sie faßten den Hauptmann behutsam unter die Arme, und Liputin flüsterte ihm etwas zu. Der Hauptmann runzelte die Stirn, murmelte: »Na, wenns so ist!«, machte eine Handbewegung, als verzichte er, wendete dem Publikum seinen gewaltigen Rücken zu und verschwand mit seinen Begleitern. Aber einen Augenblick darauf sprang Liputin wieder auf die Estrade. Auf seinen auch sonst stets lächelnden Lippen lag die süßeste Sorte von Lächeln, die er hervorbringen konnte, und die gewöhnlich an Essig mit Zucker erinnerte; in der Hand aber hielt er ein Blatt Briefpapier. Mit kleinen, aber schnellen Schritten trat er an den vorderen Rand der Estrade.
    »Meine Herrschaften,« wandte er sich an das Publikum, »durch Unachtsamkeit ist ein komisches Mißverständnis entstanden, das bereits beseitigt ist; aber hoffnungsvoll habe ich den Auftrag übernommen und die tiefe, ehrerbietige Bitte eines in unserer Stadt lebenden Dichters ... durchdrungen von dem humanen, hohen Ziele ... trotz seines persönlichen Zustandes ... demselben Ziele, das uns alle vereinigt hat ... die Tränen armer gebildeter Mädchen unseres Gouvernements zu trocknen ... würde dieser Herr, das heißt, ich will sagen, dieser hiesige Dichter ... trotz des Wunsches, sein Inkognito zu bewahren ... er würde sehr wünschen, sein Gedicht vor dem Beginne des Balles vorgelesen zu sehen ... das heißt, ich wollte sagen, vor dem Beginne der Vorlesungen. Obgleich dieses Gedicht nicht im Programm steht und nicht darin stehen kann ... weil es erst vor einer halben Stunde eingeliefert ist, so wollte es uns doch scheinen« (wem denn: »uns«? Ich führe seine unzusammenhängende, konfuse Ansprache wörtlich an), »daß wegen der bemerkenswerten Naivität des Gefühls, das sich mit einer gleichfalls bemerkenswerten Heiterkeit vereinigt, das Gedicht vorgelesen werden könne, das heißt, nicht als etwas Ernstes, sondern nur als etwas zum Feste Passendes ... Mit einem Worte, zur Idee ... Um so mehr, da es nur einige Zeilen sind ... und ich wollte dazu die Erlaubnis des wohlgeneigten Publikums erbitten.«
    »Lesen Sie es!« brüllte eine Stimme am Ende des Saales.
    »Also soll ich es lesen?«
    »Lesen Sie, lesen Sie!« riefen viele Stimmen.
    »Ich werde es mit Erlaubnis des Publikums lesen,« sagte Liputin und verzog sein Gesicht wieder zu demselben zuckerigen Lächeln.
    Indessen schien er sich doch nicht recht dazu entschließen zu können, und es kam mir sogar so vor, als befinde er sich in Aufregung. Trotz all ihrer Dreistigkeit fühlen

Weitere Kostenlose Bücher