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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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den Ball und schimpften ganz ungeniert auf Julija Michailowna. Im allgemeinen ging dieses Gerede ohne Ruhe und Ordnung vor sich und bestand aus abgerissenen Bemerkungen Halbbetrunkener, so daß es schwer war, daraus klug zu werden und etwas daraus zu entnehmen. Ebendort beim Büfett hatte sich auch eine Anzahl von Leuten niedergelassen, die einfach vergnügt waren; es waren sogar einige Damen da von der Art, die man durch nichts mehr in Verwunderung oder in Schrecken versetzen kann, sehr liebenswürdige, ausgelassene Damen, größtenteils Offiziersfrauen mit ihren Männern. Sie hatten gruppenweise an einzelnen Tischen Platz genommen und tranken höchst vergnügt Tee. Der Büfettraum hatte sich in einen behaglichen Zufluchtsort für fast die Hälfte des anwesenden Publikums verwandelt. Und doch mußte nach einiger Zeit diese ganze Masse in den Saal fluten; man bekam einen Schreck, wenn man daran auch nur dachte.
    Unterdessen waren im Weißen Saale unter Mitwirkung des Fürsten drei dürftige Quadrillen zustande gekommen. Die jungen Damen tanzten, und die Eltern freuten sich über sie. Aber auch hier begannen schon viele dieser achtungswerten Personen daran zu denken, wie sie, wenn ihre Töchter sich hinreichend amüsiert haben würden, sich möglichst frühzeitig davonmachen könnten, und nicht erst dann, »wenn es losgehe«. Daß es unfehlbar losgehen werde, davon waren alle fest überzeugt. Julija Michailownas eigenen Seelenzustand zu schildern würde schwer sein. Ich sprach nicht mit ihr, obgleich ich ihr mehrmals ziemlich nahe kam. Auf meine Verbeugung beim Eintritt antwortete sie nicht; sie schien mich nicht bemerkt zu haben (sie hatte mich tatsächlich nicht bemerkt). Ihr Gesicht hatte einen leidenden Ausdruck; der Blick war verächtlich und hochmütig, aber fahrig und unruhig, Sie nahm sich mit offenbarer Qual zusammen, – wozu und für wen? Sie hätte unbedingt wegfahren und vor allen Dingen ihren Gemahl wegschaffen sollen; aber sie blieb! Schon an ihrem Gesichte konnte man wahrnehmen, daß ihr die Augen »vollständig aufgegangen« waren, und daß sie nichts Gutes mehr erwartete. Sie rief nicht einmal Peter Stepanowitsch zu sich heran (dieser schien sie auch selbst zu vermeiden; ich sah ihn am Büfett; er war außerordentlich heiter.) Aber sie blieb dennoch auf dem Balle und ließ Andrei Antonowitsch keinen Augenblick von ihrer Seite. Oh, bis zum letzten Augenblick würde sie noch vorhin bei der Matinee jede Anspielung auf seinen Gesundheitszustand mit der aufrichtigsten Entrüstung zurückgewiesen haben; aber jetzt mußten ihr auch in dieser Hinsicht die Augen aufgehen. Was mich betrifft, so hatte ich gleich beim ersten Blicke den Eindruck, daß Andrei Antonowitsch schlechter aussah als am Vormittage. Er schien sich in einem Zustande der Selbstvergessenheit zu befinden und gar nicht zu wissen, wo er eigentlich war. Ab und zu sah er mit auffallend strenger Miene um sich, so zum Beispiel ein paarmal nach mir hin. Einmal versuchte er, über irgendeinen Gegenstand ein Gespräch anzufangen; er begann laut und kräftig, sprach aber nicht zu Ende und versetzte dadurch einen friedlichen alten Beamten, der zufällig in seiner Nähe war, in Schrecken. Aber auch diese friedliche Hälfte des Publikums, die sich im Weißen Saale befand, hielt sich mit düsterer, ängstlicher Miene von Julija Michailowna fern und richtete gleichzeitig sehr sonderbare Blicke auf ihren Gemahl, Blicke, deren Beharrlichkeit und Offenheit zu der sonstigen Schüchternheit dieser Leute wenig stimmte.
    »Sehen Sie, dieses Benehmen war es, was mir einen Stich ins Herz gab, und ich fing auf einmal an, etwas über Andrei Antonowitsch zu ahnen,« gestand Julija Michailowna mir selbst später.
    Ja, sie hatte wieder einen Fehler begangen. Wahrscheinlich war sie vor kurzem, als sie nach meinem Davonlaufen sich mit Peter Stepanowitsch dafür entschieden hatte, den Ball stattfinden zu lassen und auf ihm zu erscheinen, wahrscheinlich war sie da wieder in das Arbeitszimmer des schon bei der Vorlesung endgültig »erschütterten« Andrei Antonowitsch gegangen, hatte wieder all ihre Zauberkünste zur Anwendung gebracht und ihn mit sich mitgeschleppt. Aber welche Qual stand sie aller Wahrscheinlichkeit nach jetzt aus! Und trotzdem fuhr sie nicht weg! Ob ihr Stolz sie peinigte, oder ob sie einfach die ruhige Überlegung verloren hatte, ich weiß es nicht. Bei all ihrem Hochmute versuchte sie es doch, demütig lächelnd mit einigen Damen ein Gespräch

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