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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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weil er uns schon für völlig betrogene Dummköpfe hielt. Aber ich hatte keine Lust, weiter an ihn zu denken; den eigentlichen Kern seiner Mitteilung hielt ich für wahr und lief ganz außer mir von Julija Michailowna weg. Diese Katastrophe empfand ich wie einen tiefen Stich ins Herz. Vor seelischem Schmerze kamen mir fast die Tränen, und vielleicht habe ich sogar wirklich geweint. Ich wußte gar nicht, was ich unternehmen sollte. Ich eilte zu Stepan Trofimowitsch; aber ärgerlicherweise schloß er wieder seine Tür nicht auf. Nastasja versicherte mir in ehrfurchtsvollem Flüstertone, er habe sich schlafen gelegt; aber ich glaubte es nicht. In Lisas Hause gelang es mir, die Dienerschaft zu befragen; sie bestätigten die Flucht, wußten aber selbst weiter nichts. Im Hause herrschte Wirrwarr; die kranke gnädige Frau hatte Ohnmachtsanfälle bekommen, und Mawriki Nikolajewitsch befand sich bei ihr. Diesen herausrufen zu lassen erschien mir unmöglich. Über Peter Stepanowitsch wurde mir auf meine Fragen gesagt, er sei in der letzten Zeit täglich verstohlen im Hause erschienen, mitunter zweimal an einem Tage. Die Dienerschaft war betrübt und sprach von Lisa mit besonderem Respekt; sie hatten sie alle gern gehabt. Daß sie verloren war, vollständig verloren, daran zweifelte ich nicht; aber die psychologische Seite des Vorgangs war mir völlig unverständlich, namentlich nach der Szene, welche Lisa tags zuvor mit Stawrogin gehabt hatte. Durch die Stadt zu laufen und mich in den Häusern schadenfroher Bekannter zu erkundigen, wo sich die Nachricht jetzt natürlich verbreitete, das widerstrebte mir und schien mir auch entwürdigend für Lisa. Aber sonderbarerweise lief ich zu Darja Pawlowna, wo ich übrigens nicht empfangen wurde (im Stawroginschen Hause wurde seit dem vorhergehenden Tage niemand empfangen); ich weiß nicht, was ich ihr hätte sagen können, und warum ich zu ihr gelaufen war. Von ihr begab ich mich zu ihrem Bruder. Schatow hörte mich mürrisch und schweigend an. Ich bemerke, daß ich ihn in ungewöhnlich düsterer Stimmung getroffen hatte; er war sehr nachdenklich, und es schien ihn große Anstrengung zu kosten, mir zuzuhören. Er redete fast nichts und ging in seinem Zimmerchen auf und ab, von einer Ecke in die andere, wobei er stärker als sonst mit den Stiefeln aufstampfte. Als ich beim Weggehen schon auf der Treppe war, rief er mir nach, ich möchte zu Liputin herangehen: »Dort werden Sie alles erfahren.« Aber ich ging nicht zu Liputin heran, sondern kehrte, als ich schon ziemlich weit weg war, wieder zu Schatow zurück, öffnete die Tür halb und fragte ihn ohne einzutreten lakonisch und ohne alle Erklärungen, ob er heute zu Marja Timofejewna gehen werde. Darauf fing Schatow an zu schimpfen, und ich ging weg. Um es nicht zu vergessen, merke ich hier an, daß er noch an diesem Abend expreß nach dem Rande der Stadt zu Marja Timofejewna ging, die er seit ziemlich langer Zeit nicht gesehen hatte. Er fand sie den Umständen nach bei guter Gesundheit und in heiterer Stimmung; Lebjadkin aber war sinnlos betrunken und schlief auf dem Sofa im ersten Zimmer. Das war genau um neun Uhr gewesen. So berichtete er mir selbst gleich am folgenden Tage, als er mir eilig auf der Straße begegnete. Es war schon zwischen neun und zehn Uhr abends, als ich mich entschloß, auf den Ball zu gehen, aber nicht mehr in der Eigenschaft als Festordner (ich hatte auch meine Schleife bei Julija Michailowna gelassen), sondern aus unbezähmbarer Neugier, um ohne eigene Fragen zu hören, wie man bei uns in der Stadt über all diese Ereignisse rede. Auch wollte ich gern Julija Michailowna sehen, wenn auch nur von weitem. Ich machte mir starke Vorwürfe, daß ich vorher so formlos von ihr weggelaufen war.
     
Fußnoten
     
    1 Petersburger Zeitungen, von denen namentlich der Golos eine entschieden liberale Richtung vertrat.
    Anmerkung des Übersetzers.
     
     
III.
    Diese ganze Nacht mit ihren beinah absurden Ereignissen und mit der furchtbaren »Entwickelung« am Morgen schwebt mir noch bis auf den heutigen Tag wie ein häßlicher, beängstigender Traum vor und bildet, wenigstens für mich, den peinlichsten Teil dessen, was ich hier berichte. Ich hatte allerdings den Anfang des Balles versäumt, kam aber zu seinem Ende hin; so schnell war ihm zu enden beschieden. Es war schon zehn Uhr vorbei, als ich zum Portale des Hauses der Frau Adelsmarschall gelangte, wo derselbe Weiße Saal, in welchem vor kurzem die Vorlesung stattgefunden

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