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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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andere Backe darbieten. Ich hatte es früher nie verstanden!«
    Für Sofja Matwejewna folgten nun zwei der furchtbarsten Tage ihres Lebens; noch jetzt zittert sie bei der bloßen Erinnerung. Stepan Trofimowitsch wurde so ernstlich krank, daß er nicht auf dem Dampfer wegfahren konnte, der diesmal pünktlich um zwei Uhr nachmittags ankam; sie aber brachte es nicht fertig, ihn allein zurückzulassen, und fuhr ebenfalls nicht nach Spasow. Wie sie später berichtete, freute er sich sogar sehr darüber, daß der Dampfer abgegangen war.
    »Nun, das ist ja prächtig, das ist ja wunderschön,« murmelte er, im Bette liegend. »Ich hatte schon gefürchtet, wir würden wegfahren. Hier ist es so hübsch; hier ist es am allerschönsten ... Sie werden mich nicht verlassen? Oh, Sie haben mich nicht verlassen!«
    Indessen war es »hier« durchaus nicht so hübsch. Von den Schwierigkeiten, die ihr erwuchsen, wollte er nichts wissen; sein Kopf war nur mit Phantasien angefüllt. Seine Krankheit hielt er für etwas Vorübergehendes, für eine Lappalie, und dachte an sie überhaupt nicht; er dachte nur daran, wie sie hingehen und »diese Bücher« verkaufen würden. Er bat sie, ihm aus dem Neuen Testamente vorzulesen.
    »Es ist schon lange her, daß ich es gelesen habe ... im Original gelesen habe. Aber es könnte mich doch jemand nach etwas daraus fragen, und ich gäbe dann vielleicht falsche Auskunft; ich muß mich doch vorbereiten.«
    Sie setzte sich neben ihn und schlug das Buch auf.
    »Sie lesen sehr schön,« unterbrach er sie schon nach der ersten Zeile. »Ich sehe, ich sehe, daß ich mich nicht geirrt habe!« fügte er undeutlich, aber entzückt hinzu.
    Und überhaupt war er ununterbrochen in einem Zustande des Entzückens. Sie las die Bergpredigt.
    »
Assez, assez, mon enfant,
genug! ... Meinen Sie wirklich, daß das nicht genug ist?«
    Er schloß kraftlos die Augen. Er war sehr schwach, hatte aber das Bewußtsein noch nicht verloren. Sofja Matwejewna wollte sich erheben, weil sie annahm, daß er zu schlafen wünsche; aber er hielt sie zurück.
    »Meine Freundin, ich habe mein ganzes Leben lang gelogen. Sogar wenn ich die Wahrheit sagte. Ich habe nie um der Wahrheit willen geredet, sondern nur um meinetwillen; ich habe das auch früher schon gewußt; aber erst jetzt sehe ich es klar ein ... Oh, wo sind jene Freunde, die ich mit meiner Freundschaft mein ganzes Leben lang gekränkt habe? Und sie alle habe ich gekränkt, sie alle!
Savez-vous,
ich lüge vielleicht auch jetzt; gewiß lüge ich auch jetzt. Die Hauptsache ist, daß ich mir selbst glaube, wenn ich lüge. Das Allerschwerste im Leben ist: zu leben und nicht zu lügen ... und ... und an die eigene Lüge nicht zu glauben; ja, ja, gerade das! Aber warten Sie, von alledem wollen wir später einmal reden ... Wir bleiben zusammen, wir bleiben zusammen!« fügte er enthusiastisch hinzu.
    »Stepan Trofimowitsch,« bat Sofja Matwejewna schüchtern, »möchten Sie nicht einen Arzt aus der Gouvernementsstadt holen lassen?«
    Er war höchlichst überrascht.
    »Wozu?
Est-ce que je suis si malade? Mais rien de sérieux.
Und wozu brauchen wir fremde Leute? Dann würde es bekannt werden, daß ich hier bin, und was dann? Nein, nein, keinen Fremden! Wir bleiben zusammen, wir bleiben zusammen!«
    »Wissen Sie,« sagte er nach kurzem Stillschweigen, »lesen Sie mir noch etwas, etwas Beliebiges, worauf Ihr Auge gerade fällt.«
    Sofja Matwejewna schlug das Buch auf und begann zu lesen.
    »Wo das Buch aufklappt, wo es zufällig aufklappt,« sagte er noch einmal.
    »Und dem Engel der Gemeine zu Laodicea schreibe ...«
    »Was ist das? Wo ist das her?«
    »Das ist aus der Offenbarung St. Johannis.«
    »
O, je m'en souviens, oui, l'Apocalipse. Lisez, lisez,
ich möchte aus dem Buche eine Weissagung über unsere Zukunft entnehmen; ich möchte wissen, was herauskommt; lesen Sie von dem Engel, von dem Engel! ...«
    »Und dem Engel der Gemeine zu Laodicea schreibe: das saget Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Kreatur Gottes. Ich weiß deine Werke; du bist weder kalt noch warm; o wenn du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde. Denn du sprichst: ich bin reich, ich habe viel Gut erlangt und bedarf nichts; aber du weißt nicht, daß du unglücklich bist und jämmerlich und arm und blind und nackt.«
    »Das ... und das steht in Ihrem Buche!« rief er mit funkelnden Augen und richtete sich vom Kopfkissen in die

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