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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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sonderbaren, krankhaften Eindruck; aber er war ja auch wirklich krank. Es war dies eine plötzliche Anspannung seiner Geisteskräfte, auf die mit Sicherheit (und Sofja Matwejewna sah das während seiner ganzen Erzählung mit Betrübnis voraus) nachher sofort in seinem bereits zerrütteten Organismus ein außerordentlicher Zusammensturz der Kräfte folgen mußte. Er begann beinah mit seiner Kindheit, als er »mit frischer Brust durch die Felder lief«; nach einer Stunde war er eben erst bei seinen beiden Ehen und dem Berliner Leben angelangt. Ich erlaube mir übrigens nicht, über ihn zu spotten. Es handelte sich für ihn tatsächlich um etwas Höheres und, um den modernsten Ausdruck zu gebrauchen, beinah um einen Kampf ums Dasein. Er sah die Frau vor sich, die er sich schon für seinen weiteren Lebensweg auserkoren hatte, und beeilte sich, ihr sozusagen die Weihe zu erteilen. Seine Genialität durfte für sie nicht länger ein Geheimnis bleiben ... Vielleicht sah er Sofja Matwejewna durch ein starkes Vergrößerungsglas; aber er hatte sie nun einmal auserkoren. Er konnte ohne eine Frau nicht existieren. Er selbst erkannte an ihrem Gesichte klar, daß sie ihn fast gar nicht verstand und gerade das Wichtigste nicht.
    »
Ce n'est rien, nous attendrons;
aber einstweilen mag sie es mit dem Ahnungsvermögen erfassen,« dachte er.
    »Meine Freundin, ich brauche nur Ihr Herz,« rief er, seine Erzählung unterbrechend, ihr zu, »und diesen lieben, bezaubernden Blick, mit dem Sie mich jetzt ansehen. Oh, erröten Sie nicht! Ich habe Ihnen bereits gesagt ...«
    Besonders vieles blieb der armen notgedrungenen Zuhörerin Sofja Matwejewna nebelhaft, als die Lebensgeschichte beinah zu einer vollständigen Abhandlung darüber wurde, daß nie jemand Stepan Trofimowitsch habe verstehen können, und daß »bei uns in Rußland die Talente zugrunde gehen.« Es war »etwas sehr Kluges und Verständiges, was er sagte,« berichtete sie darüber später mit inniger Rührung. Sie hörte ihm mit sichtlichem Mitgefühle zu, indem sie dabei die Augen ein wenig aufriß. Als aber Stepan Trofimowitsch humoristisch wurde und witzige Sticheleien gegen unsere »Matadore und Koryphäen« vorbrachte, da versuchte sie in ihrer Betrübnis sogar in Erwiderung auf sein Lachen ein paarmal zu lächeln; aber das nahm sich noch schlechter aus als die Tränen, so daß Stepan Trofimowitsch sogar endlich selbst verlegen wurde und nun mit um so größerem Zorne und Ingrimm über die Nihilisten und die »neuen Männer« herzog. Damit aber erschreckte er sie geradezu, und sie atmete erst da wieder in einer allerdings sehr trügerischen Hoffnung einigermaßen auf, als der eigentliche Liebesroman begann. Frau bleibt Frau, und wenn sie eine Nonne wäre. Sie lächelte, wiegte den Kopf hin und her, errötete und schlug die Augen nieder, wodurch sie Stepan Trofimowitsch in das größte Entzücken und in helle Begeisterung versetzte, so daß er sogar vieles hinzulog. Warwara Petrowna wurde bei ihm eine reizende Brünette (»welche ganz Petersburg und viele andere Hauptstädte Europas bezaubert hatte«), und ihr Mann war gestorben, »in Sewastopol von einer Kugel niedergestreckt«, einzig und allein, weil er sich ihrer Liebe unwürdig fühlte und sie seinem Nebenbuhler, das heißt eben diesem Stepan Trofimowitsch, abtreten wollte ...
    »Werden Sie nicht verlegen, meine sanfte, fromme Freundin!« rief er Sofja Matwejewna zu, indem er selbst fast alles glaubte, was er erzählte. »Dieses Verhältnis war etwas Erhabenes, etwas so Zartes, daß wir beide unser ganzes Leben lang uns nicht ein einziges Mal darüber ausgesprochen haben.«
    Als Ursache dieser Lage der Dinge erschien im weiteren Verlaufe der Erzählung eine Blondine (wenn dies nicht Darja Pawlowna war, so wüßte ich nicht, wen Stepan Trofimowitsch sonst damit gemeint haben könnte). Diese Blondine war der Brünette den größten Dank schuldig und war als entfernte Verwandte im Hause derselben aufgewachsen. Als die Brünette endlich die Liebe der Blondinen zu Stepan Trofimowitsch wahrnahm, zog sie sich in sich selbst zurück. Die Blondine ihrerseits, als sie die Liebe der Brünette zu Stepan Trofimowitsch bemerkte, zog sich ebenfalls in sich selbst zurück. Und so schwiegen sie alle drei, ganz ermattet von gegenseitiger Großmut, zwanzig Jahre lang, indem sie sich in sich selbst zurückzogen. »Oh, was war das für eine Leidenschaft, was war das für eine Leidenschaft!« rief er aus, schluchzend im aufrichtigsten

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