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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Höhe. »Ich habe diese großartige Stelle nie gekannt! Hören Sie: eher kalt, kalt als lau, nur lau. Oh, ich werde es beweisen! Nur verlassen Sie mich nicht; lassen Sie mich nicht allein! Wir werden es beweisen, wir werden es beweisen!«
    »Nein, ich werde Sie nicht verlassen, Stepan Trofimowitsch; niemals werde ich Sie verlassen!« rief sie, indem sie seine Hand ergriff, sie in den ihrigen drückte, sie an ihr Herz führte und ihn mit Tränen in den Augen anblickte. (»Er tat mir in diesem Augenblicke furchtbar leid,« berichtete sie später.)
    Seine Lippen zuckten krampfhaft.
    »Aber, Stepan Trofimowitsch, was sollen wir denn nun machen? Wollen Sie nicht einen Ihrer Bekannten oder vielleicht einen Ihrer Verwandten von Ihrer Krankheit benachrichtigen?«
    Aber als er das hörte, erschrak er dermaßen, daß sie bedauerte, es noch einmal erwähnt zu haben. Zitternd und bebend flehte er sie an, niemanden zu rufen, nichts zu unternehmen; er nahm ihr das Wort darauf ab und sagte mehrmals: »Niemanden, niemanden! Wir wollen allein bleiben, ganz allein;
nous partirons ensemble.
«
    Recht übel war es auch, daß die Wirtsleute ebenfalls unruhig wurden, brummten und Sofja Matwejewna zu Leibe gingen. Sie bezahlte ihnen das Gelieferte und war darauf bedacht, sie sehen zu lassen, daß noch mehr Geld da sei; dies besänftigte die Leute für einige Zeit; aber der Wirt verlangte Stepan Trofimowitschs »Schein«. Der Kranke wies mit hochmütigem Lächeln auf seine kleine Reisetasche; in dieser fand Sofja Matwejewna die Verfügung über seine Entlassung oder etwas Derartiges, was er sein ganzes Leben lang als Legitimation benutzt hatte. Der Wirt gab sich damit nicht zufrieden und sagte: »Er muß irgendwo aufgenommen werden; denn bei uns ist kein Krankenhaus; und wenn er stirbt, so wird das am Ende noch eine unangenehme Geschichte; wir haben davon viel Schererei.« Sofja Matwejewna redete mit dem Wirte auch von einem Arzte; aber es ergab sich, daß, wenn man nach er Gouvernementsstadt schicken wollte, dies viel zu teuer werden würde; man mußte natürlich jeden Gedanken an einen Arzt fallen lassen. Bekümmert kehrte sie zu ihrem Kranken zurück. Stepan Trofimowitsch wurde immer schwächer und schwächer.
    »Nun lesen Sie mir noch eine Stelle vor ... von den Schweinen,« sagte er auf einmal.
    »Was?« fragte Sofja Matwejewna ganz erschrocken.
    »Von den Schweinen ... das steht auch darin ...
ces cochons ...
ich erinnere mich, die Teufel fuhren in Schweine, und diese ertranken alle. Das müssen Sie mir unbedingt vorlesen: ich werde Ihnen nachher sagen, warum. Ich möchte es wörtlich hören. Ich muß es wörtlich hören.«
    Sofja Matwejewna kannte das Neue Testament genau und fand sogleich bei Lucas eben jene Stelle, die ich als Motto an die Spitze dieser Geschichtserzählung gesetzt habe. Ich führe sie hier noch einmal an:
    »Es weidete aber daselbst eine große Herde Säue auf dem Berge. Und die Teufel baten ihn, daß er ihnen erlaubte, in diese zu fahren. Da fuhren die Teufel aus von dem Menschen und fuhren in die Säue; und die Herde stürzte sich von dem Abhange in den See und ersoff. Da aber die Hirten sahen, was da geschah, flohen sie und verkündigten's in der Stadt und in den Dörfern. Da gingen die Einwohner hinaus, zu sehen, was da geschehen war, und kamen zu Jesu und fanden den Menschen, von welchem die Teufel ausgefahren waren, sitzend zu den Füßen Jesu, bekleidet und vernünftig; und sie erschraken. Und die es gesehen hatten, verkündigten's ihnen, wie der Besessene gesund geworden war.«
    »Meine Freundin,« sagte Stepan Trofimowitsch in großer Aufregung,
»savez-vous,
diese wunderbare und ... ganz merkwürdige Stelle war mir mein ganzes Leben hindurch ein Stein des Anstoßes ...
dans ce livre ...
so daß ich diese Stelle noch von meiner Kindheit her im Gedächtnisse habe. Jetzt aber ist mir ein Gedanke gekommen,
une comparasion;
es kommen mir nämlich jetzt außerordentlich viele Gedanken. Sehen Sie, das ist genau so wie unser Rußland. Diese Teufel, die aus dem Kranken ausfahren und in die Säue fahren, das sind alle die Gifte, all die Miasmen, all die Unreinigkeit, all die großen und kleinen Teufel, die sich in unserm lieben, großen Kranken, in unserm Rußland, seit Jahrhunderten, seit Jahrhunderten angesammelt haben. Aber der große Gedanke und der große Wille werden ihm von oben her zu Hilfe kommen wie jenem sinnlosen Besessenen, und all jene Teufel werden von ihm ausfahren, all die Unreinigkeit, all die

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