Die Daemonenseherin
sich in ihr getäuscht hatte.
»Warum hat sie das getan?«, fragte sie leise. »Ich verstehe das einfach nicht.« Drei Jahre waren sie befreundet gewesen, hatten dieses beschissene Leben ertragen und sich gegenseitig durch Phasen geschleppt, in denen mal die eine und mal die andere das Gefühl gehabt hatte, das alles nicht länger auszuhalten – und dann das!
»Wenn ich Logan richtig verstanden habe, haben sie ihr ein Angebot gemacht.«
Alessa konnte sich vorstellen, wie dieses Angebot ausgesehen hatte. Wie verzweifelt mochte Susannah gewesen sein, um darauf einzugehen? Sie hätte doch wissen müssen, dass Burke sie niemals befreit hätte. Nicht einmal, wenn sie könnte.
»Manchmal verstehen wir selbst die Leute nicht, die wir zu kennen glauben«, seufzte Avery.
»In dir steckt ja ein richtiger Philosoph.«
Er zuckte die Schultern. »Muss wohl eine Nebenwirkung des Stromschlags sein.« Sein Blick richtete sich auf das kaum angerührte Brötchen auf ihrem Teller. »Willst du warten, bis es schön vertrocknet ist und ordentlich krümelt?«
Alessa schob den Teller von sich. »Ich glaube, ich hab für den Augenblick genug.«
»Hau dich wieder aufs Ohr«, schlug Avery vor. »Wenn du was brauchst, ruf mich einfach. In der Zwischenzeit werde ich mal sehen, welche Programme Logans Fernseher hergibt.«
Alessa kehrte ins Schlafzimmer zurück, kroch unter die Bettdecke und fiel in einen unruhigen, von wirren Träumen durchzogenen Schlaf. In erster Linie waren es Bilder und Erinnerungen an Susannah, die sie verfolgten. Sie standen in der Galerie und unterhielten sich, als die bewaffneten Männer auf sie zukamen. Susannah hatte sich die Hand auf die Schusswunde gepresst. Blut sickerte in einem steten Strom zwischen ihren Fingern hindurch, doch sie lachte und zeigte mit der freien Hand auf Alessa, als wäre sie der größte Witz von allen.
»Du bist mein Ticket in die Freiheit«, kicherte sie und fiel auf die Knie. Selbst als ihr Blick brach und sie wie in Zeitlupe nach vorne kippte, wich der amüsierte Ausdruck nicht aus ihren Zügen.
Vor ihr warfen die Bewaffneten den Kopf in den Nacken und lachten.
»Ticket verfallen!«, rief einer nach Luft schnappend, was die anderen in einen weiteren Lachanfall ausbrechen ließ. So laut, dass Alessa aus dem Schlaf fuhr.
Aufrecht sitzend und schwer atmend sah sie sich im Zimmer um – und zuckte erschrocken zusammen, als sie das Gelächter erneut hörte. Es dauerte einen Moment, ehe sie begriff, dass es nur Avery war. Sichtlich hatte er ein Fernsehprogramm nach seinem Geschmack gefunden, denn im Hintergrund dudelte leise Musik, übertönt von verschiedenen Stimmen.
Alessa ließ sich in die Kissen fallen und dämmerte wieder ein. Ihr Schlaf jedoch blieb unruhig und oberflächlich. Schon der geringste Laut genügte, um sie aufzuschrecken. Meistens war sie sich nicht einmal sicher, ob die Geräusche nun aus ihren wirren Träumen stammten oder ob sie von draußen kamen. Als jedoch die Türklingel schrillte, wusste sie, dass zumindest das kein Traum war. Träge öffnete sie ein Auge und lauschte. Das Parkett knarrte, dann wurde die Tür geöffnet. Gedämpfte Stimmen drangen an ihr Ohr, eine davon war die von Avery, die andere konnte sie, abgesehen davon, dass sie zu einem Mann gehörte, nicht weiter einordnen.
Avery sprach leise mit dem Mann. Schritte mischten sich unter die Stimmen, als sie näher kamen, dann waren sie nur noch als schwaches Raunen zu hören. Sie mussten ins Wohnzimmer gegangen sein und die Tür hinter sich geschlossen haben. Alessa lag ganz still da und lauschte angestrengt, doch das Raunen wollte nicht wieder zu erkennbaren Stimmen werden. Schließlich schlief sie ein, nur um kurz darauf erneut die Augen zu öffnen.
Es war still.
Zu still.
Das Raunen war verstummt.
Der Besucher schien wieder gegangen zu sein. Alessa kniff die Augen zusammen und wartete darauf, Averys Gelächter zu hören, doch es blieb ruhig. Nicht einmal der Fernseher gab noch einen Laut von sich.
Alessa wollte nicht länger hier liegen, sich alle paar Minuten von jedem noch so kleinen Geräusch aus dem Schlaf reißen lassen und darauf warten, dass sie endlich wieder einschlief. Sie hatte keine Lust mehr, allein zu sein, deshalb schlug sie die Decke zurück und stand auf. Wenn sie wieder müde wurde, konnte sie sich ebenso gut auf der Couch zusammenrollen – und wenn nicht, hatte sie wenigstens Gesellschaft.
Sie holte Logans Bademantel, schlüpfte hinein und knotete den Stoffgürtel lose
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